Gastbeitrag

Venture Clienting: Ein wissenschaftlicher Einblick

Innovation systematisch gedacht. Prof. Dr. Tobias Gutmann erklärt in seinem Gastbeitrag, warum Venture Clienting mehr ist als ein Tool und eine neue Logik für Corporate Entrepreneurship bietet.
Report von Prof. Dr. Tobias Gutmann Prof. Dr. Tobias Gutmann · Stuttgart, 17. Dezember 2025

Dieser Beitrag erscheint in der Venture Clienting Themenwelt powered by LBBW. Als mittelständische Universalbank mit eigenem Venture-Clienting-Modell arbeitet die LBBW gezielt mit Startups zusammen, um innovative Technologien in die Bankpraxis zu übertragen. Die wissenschaftliche Perspektive dieses Beitrags ergänzt diese Praxis und ordnet ein, wie strukturierte Startup-Kooperationen Mehrwert schaffen können.

Executive Summary

Startups sind längst zu zentralen Partnern im Innovationssystem etablierter Unternehmen geworden. Doch wie lässt sich ihre Geschwindigkeit, Kreativität und Lösungsnähe wirklich wirksam in Konzernstrukturen übersetzen? Venture Clienting – also die systematische Nutzung von Startup-Lösungen durch kommerzielle Pilotierung und Implementierung statt Kapitalbeteiligung – verspricht genau das. Der Ansatz hat in den letzten Jahren stark an Sichtbarkeit gewonnen und wird zunehmend als eigenständige Kategorie in der Corporate Venturing Toolbox verankert.

Dieser Beitrag bietet eine kurze wissenschaftliche Einordnung des Phänomens: Er beleuchtet wissenschaftliche Literaturstränge, in welchen darüber diskutiert wird. Gleichzeitig zeigt er, warum die eigentliche Innovation weniger in der Systematik als in der semantischen Sichtbarmachung eines bestehenden Musters liegt. Venture Clienting ist damit nicht nur ein operatives Werkzeug, sondern Ausdruck einer modernen Innovationslogik: gezielt, bedarfsnah und anschlussfähig an die reale Unternehmenspraxis.

1. Einleitung

Innovation findet längst nicht mehr ausschließlich hinter verschlossenen Firmentüren statt. Spätestens seit der Veröffentlichung des Buchs „Open Innovation: The New Imperative for Creating and Profiting From Technology“ (Chesbrough, 2003) im Jahr 2003 durch den seit kurzem emeritierten Berkeley-Professor Henry Chesbrough, der den gleichnamigen Begriff prägte, ist klar: In einer zunehmend vernetzten Welt wird es für Unternehmen zur strategischen Notwendigkeit, externe Ideen, Technologien und Talente systematisch in ihre Innovationsprozesse einzubinden.

Genau an diesem Punkt setzt das Konzept des Venture Clienting an – ein noch vergleichsweise junges, aber in der Praxis stark beachtetes Modell. Es beschreibt Unternehmen, die vielversprechende Technologien von Startups nicht finanzieren, sondern als erste Kunden erwerben, nutzen und in ihre Strukturen integrieren, um gezielt Innovationsimpulse zu realisieren und Wettbewerbsvorteile zu sichern.

Der Ansatz wurde vor allem durch BMW bekannt gemacht (Gimmy et al., 2017) und hat es mittlerweile in den Gartner Hype Cycle für Innovationspraktiken (Gartner, 2024) geschafft – ein Indikator für seine wachsende Verbreitung und das gestiegene Interesse in Industrie und Beratungswelt. Während in der Praxis aber erste Implementierungsmodelle entstehen, steht die wissenschaftliche Auseinandersetzung noch am Anfang. Doch genau dieser Brückenschlag – zwischen betrieblicher Realität und theoretischer Fundierung – ist entscheidend, um Venture Clienting langfristig als robuste Innovationsarchitektur zu verstehen (Gutmann et al., 2024)

2. Was wir über Venture Clienting wissen - ein Blick in die Forschung

Trotz seiner steigenden Bedeutung in der Unternehmenspraxis ist Venture Clienting in der akademischen Forschung noch ein junges und konzeptionell fragmentiertes Feld. Es gibt bislang wenige dedizierte Studien, doch aus ausgewählten Forschungssträngen lassen sich bedeutende theoretische Anker ableiten, die helfen, das Phänomen systematisch zu erfassen und zu verstehen. Drei zentrale Perspektiven haben sich in der bisherigen Forschungsliteratur herauskristallisiert: Corporate Venturing, Open Innovation, und Supplier Development im Kontext des Supply Chain Managements (siehe Grafik 1).

Grafik 1: Ausgewählte Forschungsstränge, die Venture Clienting beleuchten (Eigene Darstellung – Entnommen aus meiner Präsentation in der Academy of Management 2025, Kopenhagen, im Workshop „External Corporate Venturing“)

2.1 Corporate Venturing: Venture Clienting als operativer Brückenmechanismus

Der Begriff Corporate Venturing umfasst weit mehr als nur Corporate Venture Capital (CVC). In der Forschung wird er als Oberbegriff für alle organisationalen Aktivitäten verstanden, mit denen etablierte Unternehmen unternehmerisches Verhalten fördern – intern (z. B. durch Inkubatoren) oder extern (z. B. durch Startup-Kollaborationen) (Burgelman, 1983; Covin & Miles, 1999). Venture Clienting lässt sich in diesen erweiterten Corporate Venturing-Begriff einordnen: als nicht-investives, aber strategisches Instrument zur Integration externer Technologien in bestehende Geschäftsprozesse.

Im Gegensatz zu CVC, bei dem Kapitalbindung und strategisches Lernen Hand in Hand gehen, zielt Venture Clienting auf schnelle, risikoarme Lösungspartnerschaften mit Startups – typischerweise im Rahmen konkreter Bedarfe (Baumgärtner et al., 2024). Es geht nicht um den Aufbau eines Startup-Portfolios im finanziellen Sinn, sondern um die kuratierte Adoption unternehmerischer Lösungen, eingebettet in ein strategisches Such- und Pilotierungsregime.

Weiblen und Chesbrough (2015) bezeichnen dies als „Access to innovation without ownership“. Unternehmen agieren hier als Kunden mit strategischem Interesse, nicht als Anteilseigner. Damit fungiert Venture Clienting als komplementärer Mechanismus in Multi-Tool-Venturing-Portfolios, der operative Nähe und technologische Exploration vereint – ohne Beteiligungslogik, aber mit klarem Wertbeitrag zur strategischen Innovationsagenda.

2.2 Open Innovation: Venture Clienting als strukturierter Inbound-Kanal

Das Konzept der Open Innovation (Chesbrough, 2003; 2006) postuliert, dass Unternehmen durch das gezielte Öffnen ihrer Innovationsprozesse – also durch das Einbinden externer Quellen – innovativer und adaptiver werden. Dahlander und Gann (2010) unterscheiden dabei vier Modi: inbound vs. outbound sowie pecuniary vs. non-pecuniary. Venture Clienting fällt klar in den inbound-pecuniary-Modus: Unternehmen zahlen für externes Wissen in Form funktionierender Lösungen.

Dabei geht es nicht um Ideengenerierung mit der Crowd, sondern um die systematische Identifikation, Validierung und Implementierung von Startup-Technologien, die konkrete Probleme im Unternehmen lösen können. Venture Clienting bietet damit eine strukturierte Antwort auf das klassische Problem des local search bias (Laursen & Salter, 2006): Unternehmen suchen oft nur in bekannten Technologiefeldern – Startups operieren hingegen an den Rändern, wo neue Lösungen entstehen.

Der eigentliche Wert entsteht jedoch erst durch interne Anschlussfähigkeit: Ohne geeignete Prozesse, Stakeholder-Engagement und Implementierungsarchitektur verpufft der externe Impuls. Venture Clientingo perationalisiert das Prinzip der offenen Innovation mit Startups entlang konkreter Prozesse, Budgets und Governance-Modelle.

2.3 Supply Chain Management: Startups als strategische Frühlieferanten

Auch die Forschung zum Supply Chain Management liefert wertvolle Perspektiven auf Venture Clienting – insbesondere im Bereich der Lieferantenentwicklung und asymmetrischen Buyer-Supplier Beziehungen. Kurpjuweit, Wagner und Choi (2020) untersuchen explizit, wie Startups in frühen Stadien als potenzielle Lieferanten für große Unternehmen positioniert werden können – trotz ihrer strukturellen Schwächen (z. B. geringe Skalierungsfähigkeit, fehlende Qualitätssysteme).

In dieser Logik fungiert Venture Clienting als ein instrumentalisiertes Reifemodell: Startups durchlaufen einen beschleunigten „Qualifizierungsprozess“, um ihre Lösung operativ anschlussfähig zu machen. Der Konzern übernimmt dabei nicht nur die Rolle des Kunden, sondern auch die des Co-Entwicklers, Risikomanagers und Skalierungs-Enablers – oft ohne formale Standard-Lieferantenregistrierung oder langfristige Abnahmegarantien.

Diese Positionierung des Startups als „emerging supplier in a buyer-led relationship“ ist zentral, um die Dynamik zu verstehen: Venture Clienting ist (zumindest im ersten Schritt) kein partnerschaftliches Co-Creation-Modell, sondern ein zielgerichteter, problemorientierter Einkauf unter Unsicherheit, bei dem selektive Integration und frühes Feedback zentrale Rollen spielen.

Anders als klassische Beschaffungsmodelle ist Venture Clienting jedoch nicht (nur) auf Effizienz, sondern (auch) auf Lernen und Exploration ausgerichtet. Damit verbindet es Prinzipien des Supply Chain Managements mit den Zielen strategischer Frühinnovation – und ermöglicht neue Formen der Lieferantenbeziehung unter Bedingungen hoher Dynamik.

3. Was erfolgreiche Venture Client Modelle auszeichnet – und woran sie scheitern

Venture Clienting verspricht viel: Zugang zu disruptiven Technologien, schnellere Innovationszyklen und strategisches Capability Sourcing – ohne Kapitalbindung. Doch der Erfolg hängt nicht allein von der Qualität der Startups ab. Vielmehr sind es interne Strukturen, Prozesse und kulturelle Anschlussfähigkeit, die über Wirksamkeit oder Wirkungslosigkeit entscheiden. 

3.1 Erfolgsfaktor #1: Klarer Problem-Pull statt technologiegetriebener Push

Ein wichtiger Erfolgsfaktor ist ein klar artikulierter Bedarf aus dem operativen Geschäft. Venture Clienting ist dann erfolgreich, wenn es reale Probleme adressiert – nicht wenn es spannende Startups „irgendwie“ ins Unternehmen bringt. Die Erfahrung zeigt: Push-getriebene Modelle, bei denen Startups ohne konkreten Use Case gepitcht werden, stoßen häufig auf Ablehnung oder Desinteresse.

Erfolgreiche Venture Client Units arbeiten deshalb mit Need Ownern, also internen Fachbereichen, die ein Problem besitzen – und daher intrinsisch motiviert sind, eine externe Lösung zu testen und zu implementieren. Die Literatur spricht in diesem Zusammenhang vom „Solution Pull“ der eine deutlich höhere Erfolgsquote bei der Adoption verspricht.

3.2 Erfolgsfaktor #2: Strukturierte Prozesse – das WFGM-Modell als Blaupause

Viele Unternehmen entwickeln ihre Venture-Client-Prozesse entlang von Stage-Gate- oder Phasenmodellen. In der Praxis finden sich dabei ganz unterschiedliche Varianten – von drei bis ca. sieben Schritten – ergänzt um Labels wie Identify, Discover, Assess, Evaluate, Buy, Purchase, Proof-of-Value, Proof-of-Concept, Pilot, Test, Implement, Scale oder Adopt. Trotz dieser Vielfalt basieren alle Modelle letztlich auf denselben bewährten Standardphasen, die aus dem „klassischen Innovationsmanagement“ bekannt sind.

Ein etabliertes Referenzmodell ist das Want–Find–Get–Manage (WFGM)-Framework von Slowinski (2010). Es fasst den gesamten Ablauf von der Bedarfsklärung bis zur Post-Pilot-Integration in vier klaren Schritten zusammen:

  • Want: Interne Bedarfe klären und strategisch definieren
  • Find: Geeignete Startups identifizieren und evaluieren
  • Get: Verträge aufsetzen, Risiken prüfen und Ressourcen bestimmen
  • Manage: Pilot begleiten, Ergebnisse bewerten und Lösungen skalieren

Der Vergleich macht deutlich: Ob ein Unternehmen nun drei, fünf oder sieben Phasen nutzt – und wie diese bezeichnet werden – ändert wenig an der grundsätzlichen Systematik. Sie hat sich über Jahrzehnte im Innovationsmanagement bewährt und bleibt auch heute ein zentraler Baustein für Prozessexzellenz. Gerade diese klare Struktur ermöglicht es, effizient vom identifizierten Bedarf zur passenden Lösung zu gelangen.

In erfolgreichen Organisationen sind diese Phasen nicht nur als Checkliste vorhanden, sondern in verzahnte Governance-, Reporting- und Entscheidungssysteme eingebettet – oft mit dedizierten Teams, klaren Rollen (z. B. „Startup Owner“), Bewertungsframeworks und standardisierten Pilotspezifikationen. Dedizierte Software, die diesen Prozess zumindest im Innovationsteam, oder im Idealfall sogar unternehmensweit, managen kann eine Skalierung der Kollaborationsaktivitäten unterstützen. 

3.3 Erfolgsfaktor #3: Interne Anschlussfähigkeit und Umsetzungskompetenz

Die beste Startup-Lösung bleibt wirkungslos, wenn sie nicht operativ implementiert wird. Viele Venture Client Projekte scheitern nicht am Proof of Concept, sondern an der Überführung in den operativen Betrieb – etwa durch mangelnde Ressourcen im Fachbereich, IT-Hürden, Datenschutzbedenken oder fehlende interne Sponsoren.

Deshalb gilt: Venture Clienting muss von Anfang an auf interne Integration ausgerichtet sein. Erfolgreiche Einheiten investieren erheblich in Change Management, Schnittstellenmanagement und Buy-in von Führungskräften. Teilweise wird Venture Clienting auch als Bestandteil der Beschaffungsstrategie (z. B. „emerging supplier readiness“) institutionalisiert – insbesondere bei Industriegiganten mit komplexen Qualitätssicherungsprozessen.

  1. Erfolgsfaktor #4: Klare Governance, KPIs und strategische Verankerung

Die Frage, wo Venture Clienting organisatorisch aufgehängt ist, beeinflusst seine Wirkung. Ob eine Unit zentral (z. B. im CTO- oder Digitalbereich), oder netzwerkartig mit lokalen Champions (z. B. Business Unit-übergreifend mit Venture Client Leads pro Bereich) organisiert ist, hat Auswirkungen auf das Vorgehen. In beiden Fällen zeigt sich: Venture Clienting braucht eine doppelte Verankerung – strategisch und operativ. Dazu gehören:

  • Governance-Modelle mit definierten Entscheidungsprozessen
  • KPIs, z. B. Time-to-Adoption, Cost-per-Pilot, Implementation Ratio
  • Reportinglinien, z. B. zu C-Level oder Innovation Board

Diese Strukturen sichern Legitimität, Sichtbarkeit und Wirkung – und zeigen auch, dass es kein „one-size-fits-all“ für solche Einheiten gibt, sondern die Kontext, die Erfahrung, die Kultur und die Fähigkeiten eines Unternehmens das richtige Setting beeinflussen.

3.5 Warum manche Modelle scheitern – typische Stolpersteine

Die Forschung und Praxisberichte zeigen immer wiederkehrende Fehlerquellen:

  • Innovationstheater: Startups werden eingeladen, aber nicht ernsthaft pilotiert, implementiert und skaliert.
  • Fehlende interne Nachfrage: VCLUs arbeiten ohne klaren Bedarf aus dem Business
  • Isolierung: Venture Clienting wird als „Innovations-Sidecar“ betrieben, ohne Anschluss an Kernprozesse
  • Überforderung: Startups werden in Pilotstrukturen gedrängt, die ihrer Reife nicht entsprechen

Diese Punkte verdeutlichen: Venture Clienting ist kein Selbstläufer. Es braucht strategische Klarheit, interne Reife und systematisches Management, um sein volles Potenzial zu entfalten.

4. Wohin entwickelt sich Venture Clienting?

Venture Clienting steht an einem spannenden Punkt seiner Entwicklung: Während es in der frühen Phase primär als pragmatisches Beschaffungsinstrument für Startup-Technologie diente, entwickelt es sich zunehmend zu einem strategischen Orchestrationsmodell – mit Anbindung an Plattformlogiken, Ecosystem Management und digitalisierte Innovationsinfrastrukturen. Drei Entwicklungslinien zeichnen sich besonders deutlich ab: die Plattformisierung, die Automatisierung durch Künstliche Intelligenz, und die Integration in das strategische Innovationsmanagement.

4.1 Plattformisierung: Vom Pilotprojekt zur systemischen Orchestrierung

Immer mehr Unternehmen koppeln Venture Clienting an unternehmensweite Plattformarchitekturen, in denen Bedarfe, Scoutingprozesse und Startup-Beziehungen digital gesteuert werden. In manchen Industrien entstehen sogenannte Venture Collaboration Platforms, die es Unternehmen ermöglichen, sowohl interne Bedarfe als auch externe Lösungen zu strukturieren und automatisiert zu matchen. Venture Clienting wird dadurch zu einem Orchestrationsinstrument für Innovationsökosysteme – und agiert zunehmend als „Innovation-as-a-Service“-Struktur für Fachbereiche.

4.2 Künstliche Intelligenz und automatisiertes Matching

Mit dem Einzug generativer KI-Modelle, und vor allem Agentic AI, in den Innovationsprozess verändert sich auch die Rolle von Venture Clienting. Erste Anbieter arbeiten an AI-gestützten Matching-Systemen, die Probleme automatisch klassifizieren, geeignete Startups identifizieren und eine erste Vorauswahl treffen – etwa auf Basis semantischer Analyse von Pitch Decks, Webseiten und Tech-Profilen.

Zukünftig könnten Venture Client Units so eher als „AI-assisted Innovation Brokers“ agieren: Sie orchestrieren den Innovationsfluss, während repetitive Aufgaben wie Scouting, Due Diligence Light oder Fit-Gap-Analysen zunehmend durch Algorithmen unterstützt werden.

Diese Entwicklung eröffnet neue Forschungsfelder:

  • Welche Biases entstehen durch KI-gestütztes Startup-Matching?
  • Wie verändern sich Entscheidungsmuster in der Pilotvergabe?
  • Welche Kompetenzen braucht die Venture Client Unit der Zukunft?

4.3 Integration in strategische Innovationssteuerung

Während Venture Clienting heute häufig als operative Einheit gesehen wird, zeichnen sich erste Entwicklungen ab, das Modell in die strategische Innovationssteuerung einzubetten. Unternehmen experimentieren mit Modellen, in denen Venture Clienting direkt an Strategieprozesse und Roadmapping gekoppelt wird.

Diese Entwicklung ist besonders relevant in der Frage nach dem „Strategic Fit“: Statt punktuelle Lösungen zu pilotieren, evaluieren Unternehmen, wie Startup-Technologien gezielt auf strategische Capability-Gaps einzahlen – etwa in Bezug auf Nachhaltigkeit, digitale Transformation oder neue Wertschöpfungsmodelle.

Forschungsfragen, die sich daraus ergeben:

  • Wie lässt sich „Capability Fit“ zwischen Startup und Konzern systematisch bewerten?
  • Welche Governance-Modelle sichern strategische Koppelung bei operativer Flexibilität?
  • Wie verändert Venture Clienting das Rollenverständnis von Corporate Innovation?

5. Fazit: Vom Newcomer zum strategischen Innovationsmotor

Venture Clienting ist mehr als nur ein neuer Modetrend im Werkzeugkasten der Corporate Innovation. Es ist ein Antwortversuch auf ein strukturelles Dilemma: Wie gelingt es etablierten Unternehmen, das Tempo, die Kreativität und die Lösungsnähe von Startups in die eigene Organisation zu übersetzen – und zwar jenseits von Investments, Beteiligungen oder reiner Innovationssymbolik?

Der Begriff Venture Clienting wurde erstmals prominent durch die BMW Startup Garage in einem Artikel im Harvard Business Review geprägt. Diese bewusste Benennung – pointiert, leicht merkfähig und strategisch positioniert – war rückblickend nicht nur ein inhaltlicher, sondern auch ein semantischer Innovationsakt. Denn auch wenn das Prinzip „Startups als Lösungsanbieter“ keineswegs neu war, fehlte es bis dahin an einem klar umrissenen Label, das diese Praxis als eigenständiges Modell sichtbar machte.

Schon lange vor der Begriffsprägung durch BMW arbeiteten Unternehmen systematisch mit Startups zusammen: etwa im Rahmen von Technologie-Sourcing-Prozessen, inkubatornahen Beschaffungsexperimenten oder Pilotprojekten mit Corporate Procurement-Einbindung. Venture Clienting gibt dieser Praxis nun einen Namen, eine Struktur – und damit eine strategische Legitimation. Es ist, zugespitzt formuliert, eine semantische Professionalisierung eines vorhandenen Handlungsmusters.

Diese semantische Rahmung ist auch mehr als Kosmetik: In der Praxis führt sie dazu, dass Venture Clienting zunehmend als eigenständige Kategorie innerhalb von Corporate Venturing Portfolios betrachtet wird – neben Corporate Venture Capital, Acceleratoren, Inkubatoren oder Startup Labs. Die wachsende Zahl von dedizierten Venture Client Units, Toolkits, Scouting-Plattformen und Governance-Standards zeigt: Das Modell professionalisiert sich und reift.

Zugleich wird deutlich: Die eigentliche Herausforderung liegt nicht in der Benennung, sondern in der operativen Umsetzung. Unternehmen, die Venture Clienting erfolgreich etablieren wollen, brauchen:

  • strategische Klarheit über Zielbild und Use Cases,
  • interne Prozesse zur Identifikation, Bewertung und Adoption von Lösungen,
  • und eine Kultur, die Offenheit mit Umsetzungsstärke verbindet.

Venture Clienting wird in den kommenden Jahren nicht alle anderen Formen der Startup-Kollaboration ersetzen – aber es wird eine immer wichtigere Rolle als Brückenmodell spielen: zwischen schnellem Test und strategischer Skalierung, zwischen explorativem Innovationszugang und operativer Wirkung. Es ist damit nicht nur ein neuer Name – sondern ein wichtiger Mosaikstein im Umbau der Innovationsarchitekturen großer Unternehmen.

Referenzen

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Burgelman, R. A. (1983). A process model of internal corporate venturing in the diversified major firm. Administrative Science Quarterly, 28(2), 223–244. https://doi.org/10.2307/2392619

Chesbrough, H. (2003). Open innovation: The new imperative for creating and profiting from technology. Boston, MA: Harvard Business School Press.

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Gartner, Inc. (2024). Hype cycle for innovation practices, 2024. Retrieved from https://www.gartner.com/en/documents/5563795

Gimmy, G., Kanbach, D. K., Stubner, S., König, A., & Enders, A. (2017). What BMW’s corporate VC offers that regular investors can’t. Harvard Business Review. Retrieved from https://hbr.org/2017/07/what-bmws-corporate-vc-offers-that-regular-investors-cant

Gutmann, T., Greiss, S., & Hüttenhein, C. (2024). Venture clienting: How to partner with startups to create value. London: Kogan Page.

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Laursen, K., & Salter, A. (2006). Open for innovation: The role of openness in explaining innovation performance among U.K. manufacturing firms. Strategic Management Journal, 27(2), 131–150. https://doi.org/10.1002/smj.507

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