Wenn das neue Ding die Alten sind

Start-ups entwickeln bisher selten Produkte für ältere Menschen. Damit berauben sie sich selbst einer möglicherweise lukrativen Zielgruppe. Eine junge Firma aus Ostwestfalen zeigt, wie man diese erschließen kann.

Deutschlands größte Start-ups haben eins gemeinsam: Egal, ob Auto1, GetYourGuide oder About You: Sie alle sind technologiegetriebene Unternehmen. Auch weil sie hoffen, dadurch klassische Geschäftsfelder – etwa den Modehandel oder das Gebrauchtwagengeschäft – für junge Leute attraktiver zu machen und so etablierte Unternehmen ausstechen zu können. 

Das andere Ende der Bevölkerungspyramide haben viele Start-ups hingegen kaum im Blick. „Senioren stellen für Startups und Tech-Entwickler bislang eine unterschätzte Zielgruppe dar“, sagt Ariane Schenk, Referentin für Health & Pharma beim Digitalverband Bitkom: „Die Wahrnehmung ist, dass sie wenig technikaffin und skeptisch gegenüber Neuem sind.“ 

Mit der Realität hat diese Wahrnehmung aber wenig zu tun. Laut der aktuellen Allensbacher Markt- und Werbeträger-Analyse sind fast 58 Prozent aller Menschen über 60 Jahre in Deutschland zumindest hin und wieder online, mehr als ein Viertel sogar mehrmals täglich. Mit dem Bild der fortschrittsfeindlichen Rentner lässt sich das nicht vereinbaren. Für Ariane Schenk ist das nicht überraschend. Gerade gegenüber Technologien, die es ihnen ermöglichen, länger selbstbestimmt zu leben oder mehr Sicherheit im Alltag zu haben, seien sie sehr offen. „Gelingt es Startups, nutzergerechte Lösungen anzubieten, schlummern hier viele Potenziale“, ist sie sich sicher.

„Agetech“, wie die Start-up-Branche für Senioren auch genannt wird, könnte also das nächste große Ding werden, wenn sich denn genug Gründer dafür interessieren. Erste Initiativen gibt es, um die Start-up-Szene für dieses Potenzial zu sensibilisieren. In Chemnitz – passenderweise die älteste Großstadt Deutschlands – fand dieses Jahr das zweite  „Agetech Bootcamp“ statt, wo Gründer ihre Ideen extra für diese Zielgruppe präsentieren konnten. Seit 2018 verleiht der Interessenverband Deutsche Seniorenliga gemeinsam mit dem Versicherungskonzern Signal Iduna den „SENovation Award“ für Agetech-Start-ups.

Bei einem Blick auf die diesjährigen Finalisten zeigt sich, wie vielseitig die möglichen Einfallstore für kreative Gründer sind. Das Start-up Memoresa etwa will die Abwicklung des Nachlasses über eine Plattform salonfähig machen. Kontoschließungen können hierüber veranlasst werden, dazu kommt ein „digitaler Notfalltresor“, in dem eine Vorsorgevollmacht oder eine Patientenverfügung gespeichert werden können.

Der Dienstleister “besser zuhause” will Senioren unterdessen dabei helfen, Wohnungen auf altersgerechtes Leben auszurichten. Das Konzept umfasst konkrete Maßnahmen im Haus, Hilfe bei der Beantragung von Zuschüssen sowie die Einbindung von Technologien zur Teilhabe. 

Gewinner in der Kategorie Start-ups war dieses Jahr die GTK Gesellschaft für technische Kriminalprävention mbH (GTK GmbH) aus Hövelhof im Kreis Paderborn. Hinter dem Namen steht vor allem Oliver Böttcher, der Gründer des Unternehmens. Seine preisträchtige Erfindung: Der RUFUS-Telefonfilter. Mit diesem sollen Senioren vor betrügerischen Anrufen geschützt werden, etwa vor Enkeltrickbetrügern. „Der Telefonfilter ist eine kleine Box, den wir zwischen den Anschluss und das Telefon schalten“, erklärt Böttcher. Im Filter hinterlegt ist eine “Weiße Liste” mit vertrauenswürdigen Nummern, die ohne weiteres durchgestellt werden. Unbekannte Nummern stoppt der Filter zunächst und bittet beispielsweie den Anrufer, das Gespräch aufzeichnen zu lassen. „Wer dem nicht zustimmt, wird dann eben nicht durchgestellt“, sagt Böttcher. Es gibt noch weitere Optionen, auf die der Filter eingestellt werden kann.

Die Installation soll möglichst einfach funktionieren, damit es jeder selbst umsetzen kann. „Es gibt ein Sprachmenü, außerdem sind die jeweiligen Kabelanschlüsse klar farblich gekennzeichnet“, sagt der Gründer. In einem ersten Testlauf stattete die GTK GmbH 100 Senioren im Kreis Gütersloh mit dem Filter aus, um zu überprüfen, ob er gut zu bedienen ist und tatsächlich unerwünschte Anrufe blockt. „Die Testphase lief von August bis Oktober 2019, wir haben 1.000 Anrufe geblockt, die wir als betrügerisch einstufen konnten“, sagt Böttcher. Was zeige, wie massiv das Problem für ältere Menschen sei. 

Für Oliver Böttcher ist die Anerkennung durch den Preisgewinn eine Genugtuung. Denn anfangs hatte er in der Gründerszene Schwierigkeiten mit seiner Idee: „Bei Wettbewerben haben wir meist gegen hochskalierbare Softwarelösungen oder Vergleichsportale verloren“, erinnert er sich. Für seine Idee habe das Verständnis gefehlt. „Viele glaubten nicht an den Markt.“
Seit September ist der Telefonfilter nun auf dem Markt, die erste Produktionsrunde von 250 Exemplaren werde man bis Jahresende absetzen, glaub Böttcher. Im nächsten Jahr soll die Tausendermarke geknackt werden, langfristig sei noch viel mehr möglich, meint er: „Es gibt immerhin zehn Millionen Seniorenhaushalte in Deutschland.“ 


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