Weniger Maximilians bitte

Die Start-up-Szene tut gerne fortschrittlich, beim Thema Diversität ist sie es aber nicht. Daran trägt sie zwar nur teilweise Schuld. Aber mehr tun könnte sie trotzdem.

Die Start-up-Szene ist voll von Weltverbesserern. Sie wollen unsere Erde gerechter, nachhaltiger, effizienter und ein bisschen schöner machen. Dafür schlägt ihnen manchmal beißender Spott entgegen, nicht wenigen von ihnen halten Kritiker vor, die hehren Ziele nur bis zur ersten Exit-Gelegenheit vor sich her zu tragen. Spätestens dann, so der Vorwurf, greife wie so oft im Leben Bertolt Brecht: „Erst kommt das Fressen, dann die Moral.“  

So bequem diese Sichtweise ist: Viel mehr als zynisch ist sie auch nicht. Viele Gründer und Mitarbeiter in jungen Firmen glauben an ihre Vision, sie wollen wirklich etwas bewegen. Für jede schnell zusammengezimmerte E-Commerce-Bude gibt es mindestens ein Start-up mit einer wirklich guten Idee, die Geld und Aufmerksamkeit verdient hat.

Aber es gibt fraglos Punkte, in denen die Skeptiker recht haben. Einer der schmerzhaftesten ist das Feld der Diversität. Vordergründig ist die Start-up-Szene bei dem Thema voll dabei, „woke“ zu sein ist die Werkseinstellung. Es wird gegendert, von Empowerment gesprochen, jede Gelegenheit genutzt, um zu verkünden, dass man zu den Guten gehört. Nur: Mit der Praxis hat das nicht viel zu tun. Würde man den Mediangründer im Labor erschaffen, er hieße wahrscheinlich Philipp oder Maximilian, wäre um die 30 und hätte gerade mit zwei (natürlich männlichen) Mitabsolventen irgendeiner Business School ein Fintech in Berlin gegründet, dass irgendwas mit ETF-Spar-Kreditkarten macht.

Das ist ein Skandal in einem Land, in dem 50,7 Prozent der Menschen Frauen sind, 26 Prozent einen Migrationshintergrund haben, fast 10 Prozent schwerbehindert sind und 68 Prozent außerhalb von Großstädten wohnen. Und das sind nur einige der Dimensionen, die man eigentlich berücksichtigen muss, wenn man von Diversity spricht.

An die Wurzel des Problems kommen Start-ups gar nicht heran

Mehr Vielfalt ist kein Selbstzweck, sondern ein Asset. Denn seien wir ehrlich: Die deutsche Start-up-Szene ist von Herdentieren bevölkert. Immer wieder gibt es Trends, früher waren es mal Onlinehändler im Stile von Zalando, nach N26 wollte jeder eine Neobank aufmachen, zuletzt konnten wir uns vor neuen Lebensmittellieferdiensten gar nicht retten. Diese Ideenlosigkeit entsteht aus dem uralten Prinzip „Follow the money“ (denn auch Kapitalgeber sind nicht immer kreativ), aber eben auch aus der Tatsache, dass sie oft in Zirkeln ähnlicher Menschen mit ähnlichen Biografien in den immergleichen Städten entstehen. Die 20. Neobank verbessert übrigens auch die Welt nicht mehr. 

Wie aber könnte sich hier wirklich etwas verändern? Die Antwort auf diese Frage ist genauso komplex wie das Thema Diversität selbst. Und sie beginnt mit einer unbequemen Erkenntnis: An die Wurzel des Problems kommt die Start-up-Branche selbst gar nicht heran. Denn Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund und mit Behinderung oder aus armen Verhältnissen erleben gesamtgesellschaftlich Benachteiligung. Sie haben mehr Schwierigkeiten, gute Bildung zu erhalten, mehr Schwierigkeiten, eine Wohnung zu finden oder einen Job. Das kann keine noch so ambitionierte Gründerinitiative ändern. Hier müssen Politik und Gesellschaft ansetzen, ansonsten verpufft jede oberflächliche Maßnahme, vom Girls Day an Schulen bis zur Frauenquote in Dax-Aufsichtsräten.

Das heißt aber nicht, dass wir die Hände in den Schoß legen sollten. Denn mindestens einen sehr wirksamen Hebel gebe es, um mehr Menschen mit diversem Hintergrund beim Gründen zu unterstützen. Gebt ihnen mehr Geld. Denn wer nicht dem Standard-Gründertypus entspricht, der sieht eher selten Wagniskapitalgeber das Scheckbuch zücken. Umso wichtiger sind Initiativen wie der Emerge-Accelerator von Softbank, der explizit Diversität bei Gründern unterstützen will. Oder Netzwerke von Investorinnen und Business Angels, die sich zusammenschließen, um Ideen bisher unentdeckter Gründerinnen zu fördern und ihre Erfahrungen weiterzugeben. All diese Ideen können helfen, sie sind mehr als „Gedöns“, um an dieser Stelle mal einen mittlerweile in Ungnade gefallenen Altkanzler zu zitieren.

Wichtig bleibt nur, dass die Start-ups ihren wachsenden Einfluss in der Wirtschaftswelt nutzen, um auch auf die nötigen grundlegenden Veränderungen zu pochen. Oft genug beklagen Aktivisten, dass die „alten“ Großunternehmen ihren zweifellos vorhandenen Einfluss nicht nutzen, um diese anzuschieben. Das anders zu machen, wäre ein erste Zeichen dafür, dass das Beschwören einer „neuen Unternehmergeneration“ mehr beschreibt als eine Altersfrage. 


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