Ein bisschen Sport muss sein

Start-ups aus der digitalen Fitnessbranche gehören zu den wenigen Profiteuren der Coronakrise. Ist das nur ein kurzer Höhenflug oder können sie langfristig sogar Fitnessstudios überflüssig machen?

Die Münchener Studenten Mehmet Yilmaz, Andrej Matijczak und Joshua Cornelius wollten 2013 – wie so viele Gründer – alles anders machen. Sie vermissten in der Fitnessbranche die langfristige Begleitung der Kunden und gründeten Freeletics als großen Gegenentwurf. Anfangs verkauften sie noch PDF-Trainingspläne, heute ist Freeletics eines der erfolgreichsten Fitness-Start-ups in Europa. Die Gründer schafften 2018 den Exit, für einen hohen zweistelligen Millionenbetrag übernahmen US-Investoren ihre Anteile.

Freeletics war schon 2018 eine Erfolgsgeschichte. Jetzt, in Zeiten von Corona, könnte das Start-up den nächsten Wachstumssprung schaffen. Zehn Millionen Nutzerinnen und Nutzer kamen allein beim Münchener Unternehmen im vergangenen Jahr dazu, nun hat Freeletics nach eigenen Angaben weltweit 50 Millionen Nutzer. 

Der Fitnessmarkt wird derzeit überschwemmt von Apps und Angeboten. „Der Trend ins Digitale in der Fitnessbranche ist eigentlich nicht neu, er erhält jetzt nur Aufschwung“, sagt Sportwissenschaftler Stephan Geisler. Einer Studie der Universität Gießen zufolge hat in der Pandemie jeder Sechste zu Hause Fitness, Krafttraining oder Yoga betrieben – auch mit Hilfe von Apps.

Diese Entwicklung sieht auch Pascal Klein, Co-Gründer der Yoga- und Fitness-App Asana Rebel: „Der Prozess hat sich sehr beschleunigt, weil die Attraktivität solcher Angebote gewachsen ist.“ Die Themen Gesundheit und Fitness würden immer wichtiger. „Das haben wir bei der Nachfrage sehr gespürt oder zum Beispiel bei der Anzahl der gemachten Workouts pro Woche pro Person gesehen”, sagt er. Über genaue Zahlen spricht Asana Rebel nicht, die Konkurrenz ist groß und Wissen bekanntlich Macht. 

Das Training bei Freeletics entwirft ein Algorithmus

Aber wieso überhaupt Sport mit digitalen Hilfsmitteln machen? Weil es einen entscheidenden Vorteil biete, sagt Hermann  Aulinger von Freeletics: „Unsere Nutzer sollen so trainieren, wie sie können und wollen, unabhängig davon wann, wo und wie. Denn wir glauben, dass die größte Hürde darin besteht, überhaupt Sport zu machen.“ 

Um den inneren Schweinehund zu besiegen, hat Freeletics sich Einiges einfallen lassen. Seit dem vergangenen Frühjahr gibt es Filter, die die individuelle Situation auffangen sollen: „Leise trainieren“ nimmt zum Beispiel alle dynamischen Bewegungen raus, es wird also nicht gehüpft während des Workouts und der Nachbar hat seine Ruhe. Den Trainingsplan entwirft eine Künstliche Intelligenz, die sich mit jedem Training, zu dem es Feedback vom Kunden gibt, genauer auf die Bedürfnisse einrichten kann. „Eigentlich sind wir ein Software-Unternehmen“, sagt Aulinger. Die Übungen und das Trainingsdesign würden zwar von Sportwissenschaftlern entworfen, aber wann der Kunde welche Übung machen soll, entscheidet der Algorithmus.

Sport im eigenen Wohnzimmer liegt im Trend. Foto: Freeletics

Gerade für Anfänger im Fitnesssport ist die größte Herausforderung, Übungen auch richtig ausführen. Möglich macht das zum Beispiel das Straffr-Band – es misst Kraft, Geschwindigkeit und Wiederholungszahl der Einheiten, über eine App gibt es ein direktes Feedback. Die drei Gründer von Straffr haben seit 2018 alles von Design bis Technik selber entwickelt. Noch ist es mehr ein Versprechen in die Zukunft: Nachdem 2019 die ersten 100 Kunden das Band getestet haben, konnten im letzten Jahr 1.000 Menschen mit den Bändern trainieren. 

Ein anderes Konzept verfolgt Vaha: Das Start-up stellt einen Spiegel her, über den Übungen vorgemacht und in Echtzeit von einer Künstlichen Intelligenz korrigiert werden. Sportler können sich auch einen echten Trainer buchen, der über den Spiegel wie im Livestream im Wohnzimmer mittrainiert.  „Das Angebot nutzen vor allem Menschen mit Familie. Wir, auch ich zum Beispiel, haben wenig Zeit, Lust und Möglichkeiten die Bandbreite guter Fitnessangebote zu nutzen. Und Apps sind für mich mühsam“, sagt CEO Valerie Bures. Das Angebot gibt es erst seit März 2020, seitdem sind Tausende Mitglieder dazugekommen. Und Bures ist zuversichtlich: „Ich denke, dass irgendwann jeder ein Vaha genauso wie ein Ipad im Wohnzimmer haben wird.“

Fitnessstudios werden vermutlich nicht verschwinden

Das Kölner Start-up Vation setzt hingegen auf individuelle Betreuung durch einen Personal Trainer, der zum gewünschten Zeitpunkt digital mit den Kunden trainiert. Das sei eine Marktlücke, sagt Sven Wiszniewski von Vation: „Die meisten Wettbewerber konzentrieren sich häufig nur auf die Aktivität an sich, lösen damit aber nicht das Hauptproblem. Wir bringen unsere Kunden nicht nur zum Laufen, sondern dazu, sich die Laufschuhe überhaupt erst einmal anzuziehen.“ Das Start-up ist erst 2020 mit seiner App online gegangen und erwartet für dieses Jahr eine erfolgreiche Seed-Finanzierungsrunde, um das Produkt zu optimieren. 

Freeletcis kann also einen Trainingsplan mit Zielsetzung und Filter erstellen, Vation verlegt gleich den Personal Trainer ins Digitale und Straffr kombiniert Equipment mit Übung. Hat die Pandemie also bewiesen, dass Fitnessstudios überflüssig sind? Geisler sagt nein: „Studios bleiben. Das eine frisst das andere nicht auf, ergänzt sich aber. Nutzer von Fitness-Apps sind auch Studionutzer.“ Bewiesen hat das Gym X, die App, die für die Fitnessstudios scheinbar genau zur richtigen Zeit kam und das eigene Fitnessstudio nach Hause bringt. 

Mit der App bekommen die Studios eine Vorlage, in der sie Logo, Übungen, Trainings, Bilder, Texte und News einfügen können, ähnlich wie bei Wordpress für die Gestaltung von Internetseiten. Die Idee kam den Gründern Nico Gumlich und Dennis Weber 2019. Als der erste Shutdown im März 2020 eintrat, waren sie eigentlich noch nicht bereit für den Launch: „Mir fiel es schwer, die App so auf den Markt zu bringen, da kommt mein Perfektionismus durch. Aber wir wussten auch, wenn wir es jetzt nicht tun, schläft die Konkurrenz auch nicht und wir wollten unser facettenreiches Produkt unmittelbar zur Verfügung stellen“, erzählt Gumlich. Das Studio kann die App erst einmal kostenlos mit fertigem Design und zur Nutzung aller Servicebereiche testen, das Abo kostet pro Monat ab 59,90 Euro aufwärts. „Die Studios sind alle finanziell in einer schwierigen Situation, wir wollten uns da solidarisch verhalten. Erst wenn sie überzeugt sind, unterschreiben sie den Vertrag.“ Bisher macht eine fünfstellige Zahl an Nutzerinnen und Nutzern aus den Studios mit, eine niedrige dreistellige Zahl an Studios bietet die App an. 90 Prozent der Testenden bleiben dem Start-up zufolge im Anschluss treu.


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