Prävention statt nur Behandlung der Symptome
Die Darmflora ist ein Begriff, über den viele am liebsten nie sprechen würden. Dabei beeinflusst sie massiv die körperliche Gesundheit. Das Gründerteam von Biomes möchte das ändern – und gleichzeitig noch schnell das Gesundheitssystem revolutionieren.
Warum haben Sie Biomes gegründet?
Wir haben Biomes gegründet, damit endlich jeder Mensch von der Forschung profitieren kann, die in unseren Hightech-Laboren vor sich geht. Wir wollten etwas auf den Markt bringen, das wissenschaftliche Erkenntnisse über den eigenen Gesundheitszustand für alle verfügbar und verständlich macht. Deshalb haben wir ein interdisziplinäres Team aus Bioinformatiker*innen und Mikrobiolog*innen zusammengestellt, und eine technisch komplexe, aber einfach anwendbare Darm-Mikrobiom Analyse entwickelt. Unser erstes Produkt, der Intest.pro, hilft Menschen mit verschiedensten Beschwerden wie Reizdarm, Übergewicht oder Immunschwäche dabei, deren Ursachen zu erforschen. Auch gesundheitsbewussten Menschen gibt der Test wertvolle Hinweise, wie sie mithilfe von Ernährung und Lifestyle das Beste aus sich herausholen können.
Welches Problem wollen Sie mit Ihrer Idee lösen?
Unser langfristiges Ziel ist es, das Gesundheitssystem zu verändern: Wir wünschen uns, dass die Prävention viel mehr im Fokus steht und nicht nur Symptome behandelt werden, wenn Krankheiten schon da sind. Unsere Darmflora-Analyse ist dabei erst der Anfang, denn die Technologie und der Prozess, den wir entwickelt haben, ist theoretisch auf jegliche DNA-Anwendung übertragbar. Deshalb arbeiten wir schon an einer Darm-Mikrobiom Analyse für Hunde und Katzen sowie Kinder. Auch eine Hautflora-Analyse wollen wir perspektivisch auf den Markt bringen. Aber selbst da ist noch nicht Schluss! Denn Bakterien leben überall auf unserem Planeten. In Zukunft wollen wir mit unseren Analysen beispielsweise dabei helfen, die Antibiotika-Gabe bei Nutztieren zu reduzieren, oder weniger Düngemittel in der Landwirtschaft zu verwenden.
Woher kam die Idee für Ihr Start-up?
Unser Gründer Paul Hammer ist Systembiologe und war schon immer getrieben von dem Wunsch, die Welt zu erforschen, aber gleichzeitig etwas zu tun, was vielen Menschen helfen kann. Vor einigen Jahren lernte er auf einem Kongress die Next-Generation-Sequencing Methode kennen, auf der unser Test basiert. Von da an war für ihn klar, dass er diesen Ansatz weiterverfolgen wird. Modernste Biotechnologie gibt uns die Möglichkeit, DNA so günstig und so gut wie nie zuvor zu analysieren und die Anwendungsmöglichkeiten sind scheinbar unbegrenzt. Da klingt es vielleicht banal, dass wir uns als erstes für eine Darmflora-Analyse entschieden haben. Aber sie kann so viel mehr, als bisherige Analysen – nämlich die Gesamtheit aller Bakterien erfassen und damit vielen Menschen das Leben vereinfachen. Denn bisher wird der Einfluss dieser Bakterien auf die Gesundheit des Menschen noch zu stark unterschätzt. Dabei schreitet auch die Forschung in dem Bereich immer mehr voran und wir wissen schon einiges über die Zusammenhänge zwischen der Darmbakterien-Vielfalt und bestimmten Erkrankungen.
Und wie genau funktioniert Ihr Produkt?
Intest.pro ist ein DNA-basierter Darmflora-Test, der zu Hause selbst durchgeführt werden kann. Dafür entnehmen unsere Kund*innen eine kleine Stuhlprobe, geben sie in eine konservierende Lösung und senden das Probenröhrchen anschließend in unser Biomes-Labor. Dort untersuchen unsere Expert*innen mithilfe der sogenannten Next-Generation-Sequencing-Methode die DNA und identifizieren über 99,9 Prozent aller bekannten Bakterien im Darm. Eine Wissensdatenbank, die über 8.000 wissenschaftliche Studien zum Mikrobiom vereint, ermöglicht anschließend eine detaillierte Interpretation der Bakterienfunde. Die Ergebnisse sind persönliche Mikrobiota-Profile, auf deren Basis die Kund*innen individuelle Empfehlungen zur Steigerung ihrer Lebensqualität erhalten. So gibt die Analyse unter anderem Aufschluss über den Anteil nützlicher und schädlicher Bakterien, Entzündungsindikatoren, Vitamine und Immunsystem, Neigungen zu Intoleranzen, Darmfloratyp und Kalorienverwertung.
Ich habe nun das Testergebnis der Darmflora-Analyse, was passiert dann?
Die Testergebnisse sind über ein übersichtliches Online-Dashboard einsehbar und verständlich aufbereitet. Sie können bei Bedarf in Form eines PDFs mit einem/einer Heilpraktiker*in, Apotheker*in oder behandelnden Arzt/Ärztin besprochen werden. Grundsätzlich geben die Handlungsempfehlungen und der individuelle Ernährungsplan von BIOMES jedoch auch ausreichend fundierte Empfehlungen, um die Gesundheit in die eigenen Hände zu nehmen. Ein wesentlicher Faktor dabei ist, das Wissen rund um den unterschätzten Darm und eine darmfreundliche Ernährung zu vertiefen – hier kann sich jede*r eigenständig einlesen, beispielsweise im Blog von BIOMES.
Haben Sie vor, Ihren Darmflora-Test als Medizinprodukt zertifizieren zu lassen?
Obwohl unsere Analysen ebenso Pathogene und Krankheitsbilder identifizieren können, haben wir uns bisher bewusst gegen eine Zulassung als Medizinprodukt entschieden. Dies hat mehrere Gründe. So können wir im Lifestyle Segment unserer eigentlichen Mission viel besser nachkommen - nämlich Menschen Werkzeuge und Lösungen an die Hand zu geben, mit denen sie ihre Gesundheit selbst monitoren können, um präventiv erst gar nicht krank zu werden. Zudem sind regulatorisch diagnostische Zulassungen immer nur auf eine bestimmte Erkrankung möglich, unsere DNA-Analysen benötigen aber als sogenannter “untargeted approach” keine vorherigen Annahmen über eine bestimmte Erkrankung oder Infektion. Theoretisch müssten wir also für jede einzelne Erkrankung, eine eigene Zulassung anstreben, was ökonomisch unsinnig wäre.
Wird Ihre Darmflora Analyse von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen?
Nach unseren Erfahrungen tun sich Deutsche Krankenkassen mit neuen Technologien ohne Medizinproduktezulassung grundsätzlich schwer. Zudem ist ihre Ausrichtung fast ausschließlich auf die Behandlung von Krankheiten und nicht auf Gesundheit bzw. Prävention ausgelegt. Wir befinden uns nichtsdestotrotz mit einer großen Schweizer Krankenversicherung und mehreren deutschen privaten Krankenversicherungen im Austausch darüber, wie unsere Analysen und Lösungen ihren Mitgliedern helfen können, gesund zu leben und präventiv gegen Erkrankungen zu schützen. Wir sind zuversichtlich, dass auch hier ein Umdenken der Stakeholder weiter in Richtung Prävention voranschreitet. Unabhängig von der hiesigen Gesundheitswirtschaft nehmen wir von den großen Tech-Unternehmen aus den USA und Asien vermehrt größere Investitionen in gesundheitsfördernde Technologien wahr, z.B. in sogenannte Wearables (Google FitBit, Apple Watch) oder individuelle Biomarker (z.B. Mikrobiom). Wir gehen davon aus, dass durch diese globalen Marktplayer eine Transformation des heutigen “Krankheits-” zu einem echten Gesundheitssystems vorangetrieben wird, quasi eine Digitalisierung der Gesundheitsvorsorge. Diesen Systemwandel möchte BIOMES nicht nur begleiten, sondern mit eigenen Technologien und Lösungen aktiv mitgestalten.
Von der Idee bis zum Start: Wie finanzieren Sie sich bisher?
Die Finanzierung eines Startups ist natürlich immer eine Herausforderung, jedoch hatten wir bisher ein gutes Händchen für die richtigen Unterstützer. Wir sind derzeit durch mehrere Business Angels und zwei VC-Investoren finanziert, die vor allem auch starke Partner und sehr geschätzte Berater für uns sind. Nichtsdestotrotz haben wir ein kapitalintensives Geschäft und werden weitere Finanzierungsrunden durchführen müssen. So wollen wir im kommenden Frühjahr unsere Series A durchführen. Neben der Finanzierung ist es für uns immer wieder eine Herausforderung, fokussiert zu bleiben. Durch die unzähligen Anwendungsmöglichkeiten unserer Genomik-Technologie-Plattform adressieren wir auch verschiedenste Probleme unterschiedlichster Industrien (z.B. Diagnostik, Pharma, Food oder Agrar). Wir mussten von daher lernen, „nein“ zu vielversprechenden Anfragen großer Corporates zu sagen, um mit unseren begrenzten Ressourcen nicht den Fokus zu verlieren.
Als Biotech haben Sie auch während der Corona Pandemie einiges an Unterstützung geleistet. Was haben Sie genau gemacht?
Um das Land Brandenburg im Kampf gegen die Corona Pandemie zu unterstützen, führen wir seit August 2020 qPCR-Analysen von Rachenabstrichen zum Nachweis von Corona sowie seit Februar 2021 die Genomsequenzierung positiver Corona-Proben zur Feststellung von Virus Mutanten durch. Hierfür haben wir unsere Laborprozesse, die eigentlich auf die Darmflora-Analyse ausgerichtet sind, angepasst und hohe Investitionen in die erforderliche Technologie getätigt. Seit März diesen Jahres können wir uns nun wieder auf unser Mikrobiom-Kerngeschäft fokussieren.
Wo sehen Sie Ihr Start-up in fünf Jahren?
Unser mittelfristiges Ziel ist es, Vorurteile gegenüber DNA-Analysen abzubauen und Ärzt*innen sowie die breite Bevölkerung davon zu überzeugen, welche wichtigen Erkenntnisse wir dank Untersuchungen wie unserer gewinnen können. Etwas langfristiger gedacht möchten wir der Platzhirsch im Bereich Genomics werden und damit der lebenslange Begleiter der Menschen im Umgang mit ihren Genen.
Was war bisher Ihre größte Herausforderung?
Wir können anderen Gründern nur raten: Seid immer bereit auch kurzfristig Geld einsammeln zu können. Wir selbst haben erst kürzlich eine schwierige finanzielle Phase durchlebt, als wir plötzlich durch Corona unser Business Model in kürzester Zeit auf die klinische Corona-Diagnostik erweitern mussten. Dafür haben wir unser eigentliches Kerngeschäft, die Mikrobiom-Analyse, heruntergefahren. Aufgrund der hohen Kosten und ausgebliebener, aber geplanter Umsätze, mussten wir innerhalb von drei Monaten frisches Kapital aufnehmen. Als Gründer eines Start-ups muss man auch in so einer angespannten Lage einen kühlen Kopf bewahren und bereit sein, spontan neue Lösungen zu suchen und zu finden.
Welche Tipps würden Sie anderen Gründern mit auf den Weg geben?
Es empfiehlt sich, einen Pitch, zum Beispiel mit potenziellen Investoren, als Dialog zu führen und auch den Investoren wichtige Fragen zu stellen, bspw. wie sie ihre Rolle „beyond money” an einer Beteiligung an eurem Startup verstehen. Wenn ihr erstmal die richtigen Investoren gefunden habt, sind sie viel mehr als reine Geldgeber, stellen euch beispielsweise ihr Netzwerk zur Verfügung und ihr könnt euch auf sie verlassen, auch in schwierigen Situationen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Zur Person: Paul Hammer ist Gründer und CEO des Biotechnologie-Unternehmens Biomes. Er promovierte 2012 in Systembiologie und Bioinformatik an der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Potsdam. Seine große Leidenschaft ist die Erforschung der genomischen und mikrobiellen Mechanismen und ihrer Auswirkungen auf das Leben. 2017 gründete Paul Hammer mit sechs weiteren Wissenschaftler*innen die Biomes NGS GmbH. Das Biotechnologie-Unternehmen analysiert auf Basis der sogenannten Next Generation Sequencing Methode die DNA der Mikroben, die in und am menschlichen Körper leben.
FYI: English edition available
Hello my friend, have you been stranded on the German edition of Startbase? At least your browser tells us, that you do not speak German - so maybe you would like to switch to the English edition instead?
FYI: Deutsche Edition verfügbar
Hallo mein Freund, du befindest dich auf der Englischen Edition der Startbase und laut deinem Browser sprichst du eigentlich auch Deutsch. Magst du die Sprache wechseln?