Deshalb ist die Europäische Aktiengesellschaft (SE) für Start-ups interessant

Statt einer AG können deutsche Start-ups auch eine SE gründen. Zalando war ein Pionier, andere sind nachgezogen. Über einen Trend und seine Vorteile. 

Das Insurtech Clark hatte zuletzt einen Lauf mit großen Übernahmen und einem Rekordjahr 2021: Das waren Momente, die man gerne mit viel Tam-Tam verkündete. Diese eine Sache aber sollte erst einmal unter dem Radar fliegen: Clark hat eine Holdingstruktur gegründet. 

Offiziell eingetragen im Handelsregister ist die neue Struktur den Zwecken: Führung der Clark-Unternehmensgruppe und dem Halten von Beteiligungen. Gewählt hat das deutsche Insurtech für diese neue Struktur nicht etwa die Form einer deutschen Aktiengesellschaft, also einer AG. Sondern hinter der Holdingstruktur steht ein SE, eine Societas Europaea. 

Dahinter steckt eine Europäische Aktiengesellschaft, die Start-ups und Unternehmen auch nutzen können, um beispielsweise Anteile auszugeben und an die Börse zu gehen. Bei Clark dementierten sie auf Startbase-Anfrage, dass ein Börsengang in nächster Zeit auf dem Programm stehe. Doch warum überhaupt eine SE gründen? Und für wen kommt es in Frage?

Über 400 Europäische Aktiengesellschaften gibt es in Deutschland

Angefangen hat es mit dem Trend zur SE bereits im Jahr 2004. Damals wurde die supranationale Rechtsform von der EU ins Leben gerufen. In Deutschland erlangte die Form schnell Beliebtheit, gerade unter jungen, stark wachsenden Unternehmen, aber auch unter Mittelständlern und Firmen, die es mittlerweile an die Börse geschafft haben. Zalando, Windeln.de oder Flaschenpost sind nur einige Beispiele von Firmen, die das SE hinter dem Namen haben. 

Das Institut für Mitbestimmung und Unternehmensführung der Hans-Böckler-Stiftung (IMU) gibt regelmäßige Updates zur Anzahl von SEs in Deutschland heraus. Ende Dezember 2020 gab es in Europa demnach mehr als 3000 Europäische Aktiengesellschaften, von denen etwas mehr als 700 auch operativ aktiv waren. Allein in Deutschland registrierten die Forscherinnen mehr als 400 Europäische Aktiengesellschaften und damit eine deutliche Steigerung zum Jahr 2011. Damals gab es hierzulande dem Institut zufolge nicht einmal 100 Europäische Aktiengesellschaften. 

Zwar sind sich eine AG und eine SE nicht unähnlich, doch unterscheiden sie sich in der Praxis durchaus. Wo die Verordnung der SE womöglich Lücken lässt, greift dann das jeweils nationale Recht, weshalb man durchaus von einer deutschen oder einer französischen SE sprechen kann, bei der es auch marginale Unterschiede gibt. 

Vorteil SE: Die Governance-Struktur ist flexibler

Der wohl größte Unterschied: Die Governance-Struktur ist völlig anders geregelt. Während es bei einer deutschen Aktiengesellschaft immer einen dualistischen Aufbau aus  Vorstand als Exekutivorgan und einem Aufsichtsrat als kontrollierende Einheit gibt, muss das bei einer SE nicht der Fall sein. Zwar darf sich eine SE auch für die dualistische Struktur mit Vorstand und Aufsichtsrat entscheiden. Doch darf sie ebenfalls auch eine monistische Struktur ausweichen. Eine solche ist in Firmen in Großbritannien und den USA üblich und bedeutet vereinfacht, dass sich die Organe Aufsichtsrat und Vorstand in einem Verwaltungsorgan vereinen. Im US-amerikanischen spricht man dabei gern vom „Board” oder vom „Board of Directors”. 

Zalando ist eine SE. (Foto: Zalando)

Diese flexible Struktur des Verwaltungsorgans ist der größte Unterschied zwischen einer SE und einer AG und deshalb auch der wichtigste Entscheidungsfaktor für ein Start-up. Zudem ermöglicht es eine SE ebenfalls, eine einheitliche Rechtsstruktur über diverse Auslandsbeteiligungen zu stülpen. Wo Start-ups und Firmen sonst einzelne Tochtergesellschaften mit unterschiedlichen Rechtsformen gründen müssen, vereinfacht die SE die Bündelung ausländischer Tochtergesellschaften unter einem einheitlichen Rahmen. 

Ein weiterer Unterschied ist die Höhe des geforderten Eigenkapitals. Während es für eine GmbH nur 25.000 Euro braucht und eine AG für 50.000 Euro zu haben ist, müssen Unternehmen für eine SE immerhin 120.000 Euro hinlegen. Gerade für kleine Start-ups ist das eine Summe, die zu hoch ist. Für größere Start-ups, die teilweise sogar eine Multi-Milliarden-Bewertung haben, sollte die Höhe des Eigenkapitals überhaupt keine Rolle spielen. 

Die Gründung einer SE ist komplex

Wer sich tatsächlich für eine SE als Rechtsform entschieden hat, besitzt in der Praxis vier Möglichkeiten, diese ins Leben zu rufen, wie ein Aufsatz der Experten der Unternehmensbeartung Rödl & Partner aufschlüsselt. Alle sind relativ komplex und es bedarf einer Menge Beratungsaufwand und rechtlichen Beistand, anders als bei der Gründung einer GmbH. 

Die erste Möglichkeit für die Gründung einer SE ist, mindestestens zwei bereits vorhandene AGs aus zwei verschiedenen Mitgliedsländern zu nehmen und diese zu verschmelzen. Die zweite ist der Formwechsel von einer AG zu einer SE, wofür es eine Tochtergesellschaft im europäischen Ausland braucht. Der dritte Weg ist die Gründung einer Holding-SE wie es zuletzt Clark gemacht hat, das ist aus einer AG als auch aus einer GmbH möglich. Hierbei müssen mindestens zwei Gründer dem Recht unterschiedlicher Mitgliedsstaaten unterliegen. Und dann gibt es noch die Gründung einer sogenannten Tochter-SE durch zwei bereits bestehende Gesellschaften. Diese müssen nicht zwangsweise eine AG sein. 

Die SE ist nicht für alle Start-ups geeignet

Welche die beste Variante für ein Start-up sein kann, hängt stark von den Gegebenheiten ab: Gibt es beispielsweise schon ausländische Niederlassungen und Tochtergesellschaften? Müssen die erst gegründet werden? Oder gibt es schon eine AG, die als Grundlage für beispielsweise einen Formwechsel dienen kann? Und wenn nein: Kann ein Formwechsel von einer GmbH zu einer AG und dann einer SE schlüssig sein? Start-ups müssen das im Einzelfall entscheiden. 

Wichtig in allen Varianten ist dann auch die Frage der Mitbestimmung, die in einer SE durchaus kompliziert geregelt ist. So gibt es ein Mitarbeiterbeteiligungs-Verfahren, das darüber entscheidet, wie Angestellte künftig mitentscheiden sollen, etwa über einen Betriebsrat oder über ein Aufsichtsorgan. Dabei verhandeln SE und die gewählte Vertreter der Arbeitnehmer oft mehrere Wochen oder sogar Monate, was eine hohe Hürde für die Gründung einer SE sein kann. 

All das zeigt: Eine SE zu gründen, kann für Start-ups durchaus eine interessante Idee sein, wenn sie eine gewisse Größe erreicht haben oder gerade sehr schnell wachsen und in andere Länder expandieren. Für kleinere Unternehmen dürfte der Aufwand hingegen zu groß sein. Die genau Wahl der Struktur sollte aber gut überlegt und im Führungsteam einheitlich entschieden werden, da eine erneute Umfirmierung immer mit deutlich mehr Aufwand und auch Kosten verbunden ist.


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