Weniger Fintechs, steigender Investitionswille

Germany Finance veröffentlicht mit Startbase den German Fintech Report 2021

In Deutschland sinkt der Gründerwille für Fintechs. Gleichzeitig waren Investorinnen und Investoren nie so scharf darauf, die Finanz-Start-ups zu unterstützen. Das zeigen aktuelle Zahlen von Germany Finance und Startbase. Verspielt Deutschland hier gerade eine riesige Chance?

Wenn der Begriff Fintech fällt, brennt es Investoren unter den Nägeln. Viele von ihnen sind bereit, Millionenbeträge in technische Innovationen auf dem Finanzmarkt zu investieren. Das hat der „German Fintech Report 2021“ von Germany Finance in Zusammenarbeit mit Startbase ergeben. Die Studie zeigt: Aktuell ist es besonders lukrativ, eine gute Idee im Bereich der Finanztechnologien zu entwickeln, Investoren sind deutlich spendabler als noch in den vergangenen Jahren. Die Anzahl der Finanzierungen ist seit 2018 pro Quartal durchschnittlich um sechs Prozent gestiegen, anderthalbmal so viel wie im gesamten Start-up- Ökosystem (vier Prozent je Quartal). Gleichzeitig konnten Fintechs wesentlich häufiger große Finanzierungsrunden abschließen als Start-ups im Allgemeinen. Das zeigt sich an Fintech-Giganten wie dem Onlinebroker Trade Republic, der mehr als 4,4 Milliarden Euro bei Investoren einsammelte, oder der Direktbank N26 mit 3,5 Milliarden Euro.

Die Studie von Germany Finance ist im Rahmen der Initiative Germany Finance entstanden. Die Plattform vernetzt bundesweit die regionalen Finanzplatzinitiativen und hat das Ziel, die Bundesrepublik national und international als attraktiven Finanzstandort deutlicher sichtbar zu machen. Ein Problem: Bislang gibt es keine einheitliche Definition für Fintechs. Daher schwankt ihre bundesweite Anzahl in verschiedenen Studien teils stark. Aus diesem Grund hat Germany Finance mit den beteiligten Finanzplätzen eine gemeinsame Definition erarbeitet, um einen zukünftigen Standard zu setzen. Über 1.100 als Fintech aufgeführte Unternehmen sammelte der Report aus Studien, Listen, Datenbanken und gründungsnahen Medien. Nur 639 von ihnen erfüllen die von Germany Finance erarbeitete enge Definition eines Fintechs. Beispielsweise werden so genannte Proptech Startups, die sich mit Technologien auf dem Immobilienmarkt beschäftigen, nicht berücksichtigt - anders, als in vielen anderen Fintech-Studien.

Eine weitere Erkenntnis der Studie: Der Markt scheint trotz hoher Investitionssummen weniger attraktiv für junge Unternehmerinnen und Unternehmer zu sein. Die Tendenz von Fintech-Gründungen ist in den vergangenen drei Jahren rückläufig. Seit 2018 ist die Zahl der Finanztechnologieunternehmen pro Quartal durchschnittlich um ein Prozent gesunken ­– während im selben Zeitraum die Anzahl der Start-ups um vier Prozent je Quartal stieg. Zwischen 2018 und 2020 gab es in Deutschland 243 Fintech-Gründungen.

Dabei ist die Lebensdauer von Fintechs den Zahlen zufolge vielversprechender als in der deutschen Start-up-Szene üblich: Nur etwas mehr als die Hälfte (55 Prozent) der Fintechs in Deutschland ist jünger als fünf Jahre. Damit liegt der Anteil unter dem deutschen Durchschnitt aller Start-ups, die zu 60 Prozent jünger als fünf Jahre alt sind.

Jedes zehnte Start-up ist ein Fintech

Trotz des Rückgangs in den vergangenen Jahren ist die Bedeutung der Branche weiterhin enorm. Zehn Prozent aller Start-up-Gründungen in Deutschland sind Fintechs. Im Bereich der Neugründungen sind sie damit die zweitstärkste Branche im deutschen Start-up-Ökosystem, nach der Informations- und Kommunikationstechnik.

Antreiber für den Marktanteil und das Geschäftsmodell von Fintechs sind vor allem die Themen künstliche Intelligenz, Blockchain und Digitalisierung. Das macht Fintechs in der deutschen Wirtschaft laut einer Studie der Sparkasse auch zu einflussreichen Impulsgebern für digitale Innovationen.

Deutsche Vielfalt: Fintechs zeigen unterschiedliche Schwerpunkte

Die Standorte der deutschen Fintech-Szene unterscheiden sich stark, zeigt die Studie von Germany Finance. Neunzig Prozent aller deutschen Finanztechnologieunternehmen haben ihren Sitz in einem der sechs großen Fintech-Hubs Berlin, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Rhein-Main-Gebiet, Baden-Württemberg und Bayern.

Es dürfte nicht überraschen, dass die Start-up-Metropole Berlin die meisten Fintechs in der Bundesrepublik beherbergt. 28 Prozent haben sich dort angesiedelt. Gleichzeitig entfällt auf die Hauptstadt auch überproportional viel Medienaufmerksamkeit. Rund 50 Prozent der Berichterstattung gründungsnaher Medien handeln von den dort ansässigen Fintechs, hat die aktuelle Studie von Germany Finance ermittelt.

Insgesamt zeigen die Standorte aber nicht nur unterschiedliche Medienaufmerksamkeit, sondern auch spezifische Cluster und Entwicklungstrends. Der kleinste der sechs deutschen Fintech-Hubs liegt in Baden-Württemberg. Rund acht Prozent aller Fintechs haben dort ihren Hauptsitz. Das Bundesland hat aktuell noch kein eindeutiges eigenes Cluster, mit dem es sich identifizieren könnte. Junge baden-württembergische Fintechs sind hier vor allem im Bereich Personal Financial Management unterwegs. Es sind Unternehmen, die wie die Berliner Fintechs Fraugster oder Bonify Privatkunden dabei helfen wollen, die persönlichen Finanzen im Blick zu behalten und zu verwalten. Auch junge Fintechs in Nordrhein-Westfalen konzentrieren sich hauptsächlich auf diesen Bereich.

Im Rhein-Main-Gebiet hingegen setzen junge Fintechs ihren Fokus eher auf den Bereich Credit & Factoring. Damit sind Unternehmen gemeint, die Kunden Finanzierungsmöglichkeiten anbieten, etwa Kredite oder Darlehen. Bekannt in diesem Bereich ist beispielsweise Smava, eine Online-Kreditplattform, deren Name öfter in auffälligen Radiowerbungen ins Ohr schallt.

Ansonsten setzt das Rhein-Main-Gebiet im Fintech-Bereich auf Asset Management & Investment. Also Fintechs, die das Vermögen von Kunden verwalten oder Wertpapiere und anderen Anlagen verkaufen. Das ist offenbar eine besonders lukrative Branche – Unternehmen wie Scalable Capital, Trade Republic und Raisin DS sammelten für ihr Geschäftsmodell in den vergangenen Jahren mehrere Hundert Millionen Euro ein. Alle drei gelten als Einhörner, also Start-ups, die eine Marktbewertung von mehr als einer Milliarde Euro oder US-Dollar erhalten haben. Zwei von ihnen entstammen dem Berliner Hub, wo der Schwerpunkt ohnehin auf Asset Management & Investment liegt. Die Fintechs, die es neu in die Hauptstadt zieht, sind jedoch eher mit dem Bereich (API-) Banking vertraut. Darunter sind bekannte Namen wie N26, die als Direktbank arbeitet und Kontoführung mit dem Smartphone möglich macht, oder die Solarisbank.

Hamburg als starker Standort für Fintechs

Obwohl bis heute die erfolgreichsten Fintechs alle aus der Metropole Berlin entspringen, könnte sich das in einigen Jahren ändern. Ohnehin zeigt sich, auch durch eine Studie von LinkedIn, dass Berlin für Start-ups nicht mehr der beliebteste Standort ist. Auch junge Fintechs zieht es laut Germany Finance Report aktuell vor allem nach Hamburg. Besonders im Personal Financial Management.

Die Hansestadt hat mit 61 Prozent den größten Anteil an Fintechs, die jünger als fünf Jahre sind. Der Nachwuchs ist dort also gut vertreten. Und er setzt auf einen neuen Schwerpunkt: dezentralisierte Finanzmärkte, kurz Defi. Damit sind Finanzdienstleistungen gemeint, die auf der Blockchain-Technik aufbauen. Sie wird auch für Digitalwährungen wie Bitcoin genutzt. Ziel dieser Fintechs ist, mittels der Blockchain, die sonst benötigten Vermittler in der Finanzbranche, wie Banken, Börsen oder Versicherungsmakler überflüssig zu machen. 

Finanziell profitiert Hamburg von dem Nachwuchs. 72 Prozent der Fintech-Finanzierungen entfallen dort auf die jungen Fintechs. Wie auch in Berlin landet in der Hansestadt laut Report besonders viel Geld der Investoren.

Stärkerer Fokus auf Privatanleger und spezifische Produkte

Doch auch wenn die Vielfalt der Fintechs groß ist und sie sich in den einzelnen Hubs teilweise stark unterscheiden, gibt es einen Trend, der sich bei allen zeigt. Single-Service Provider nennt sich derzeit die größte Gruppe der Fintechs, 230 Unternehmen insgesamt. 36 Prozent beschäftigen sich demnach mit dem Angebot eines spezifischen Produkts – und sind eben nicht in mehreren Geschäftsfeldern gleichzeitig aktiv. Das zeigt sich besonders in den Bereichen Asset Management & Investment. Aber auch im Bereich Credit & Factoring konzentriert sich die Szene zunehmend darauf, den klassischen Allfinanzanbieter in verschiedene Bereiche zu zerlegen. Beratung, Finanzierung und Anlage werden also nicht mehr zusammen, sondern individuell betreut und angeboten. 

Der Report lässt damit den Trend einer Spezialisierung im Finanzbereich erkennen. Damit wird Cross-Selling, also das Ausnutzen der Kundenbeziehungen durch den zusätzlichen Verkauf sich ergänzender Produkte oder Dienstleistungen, zunehmend erschwert. Durch die individuelleren Technologien rückt auch die Zielgruppe der Privatanleger immer mehr in den Fokus der Fintech-Gründer.

Für manche Bereiche ist die reine Fokussierung aber nicht die Lösung. Fintechs, die sich weiterhin auf mehrere Felder konzentrieren, nennen sich Full–Service Provider. Sie sind hauptsächlich noch im API-Banking aktiv. Darunter die Solarisbank oder das Münchner Fintech BanksAPI, die ihren Kunden nicht nur ein Girokonto, sondern etwa auch Darlehen oder mobiles Bezahlen anbietet.Germany Finance zeigt damit in Zusammenarbeit mit Starbase in der Studie, wie vielfältig die deutsche Fintech-Branche ist und wo Deutschland seine Schwerpunkte legt. Die sinkenden Gründungszahlen geben jedoch Anlass zu der Sorge, dass die Vielfalt in den kommenden Jahren sinken könnte – und Gründerinnen und Gründer der Fintech-Szene ihre Stärke der letzten Jahre nicht aufrecht erhalten können. Denn an potenziellen Geldgebern, auch das zeigt der Report, mangelt es sicherlich nicht.

Die ganze Studie gibt es hier.


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