Können Start-ups die Pflege revolutionieren?

Zwei Start-ups wollen den Pflegemarkt digitalisieren. Dadurch ließe sich viel Zeit einsparen – jetzt müssten nur noch Pflegedienste sowie Kranken- und Pflegekassen mitspielen.

Stift, Zettel, Formulare. So sieht der Alltag vieler Pflegekräfte heute noch aus. Fast 40 Prozent ihrer Arbeitszeit gehen nicht für die Betreuung von Pflegebedürftigen drauf, sondern für das Dokumentieren der Pflege. Das ist zwar wichtig, um den Verlauf der Behandlung zu protokollieren, verordnete Medikamente aufzuschreiben und dann später abrechnen zu können. Es sollte aber bestenfalls schnell erledigt sein. 

Michael Aleithe und Philipp Skowron gehören zu denjenigen, die den Aktenbergen ein Ende setzen wollen. Sie gründeten vor zwei Jahren das Leipziger Start-up Sciendis und entwickelten die Pflege-App Wundera. Diese soll Pflegepersonal beim Dokumentieren von chronischen Wunden entlasten. Solch Wunden treten zum Beispiel auf, wenn Patienten viel im Bett liegen oder Diabetes haben. Eine Zeitersparnis von 70 Prozent bringe das für die Kunden, sagt Gründer Michael Aleithe. „Das Pflegepersonal kann die App auch per Spracheingabe nutzen und Fotos von den Wunden machen.“ 

Dass Aleithe und Skowron der Pflegebürokratie den Kampf angesagt haben, hängt mit ihrem Studium zusammen. Beide promovierten 2016 an der Universität Leipzig, ihre Themen: KI und Sicherheit in digitalen Gesundheitsanwendungen. Sie wollten, dass ihre Doktorarbeiten nicht einfach in der Schublade verschwinden, sondern das Leben von Pflegebedürftigen nachhaltig verbessern. Die Gründer witterten ein Milliardenpotenzial. Mit der App konzentrieren sie sich auf den ambulanten Pflegedienst im ländlichen Raum in Deutschland, Österreich und der Schweiz, wollen möglichst viele Pflegedienste ausrüsten. 

Übergreifende Ansätze fehlen bislang

Denn Digitalisierung über den eigenen Pflegebetrieb hinaus, das passte bisher kaum zusammen. „Dabei ist der Pflegebereich gut digitalisierbar“, erklärt Peter Tackenberg. Er ist stellvertretender Geschäftsführer im Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe und Beirat für Digitalisierung im Deutschen Pflegerat. Tackenberg kann viele Betrieben nennen, die bereits vor 20 Jahren erfolgreich auf digital umgestiegen sind etwa für die Touren- oder Dienstplanung der Mitarbeiter, allerdings seien das alles nur Insellösungen. Besonders übergreifende Ansätze des Datenaustauschs fehlten. „Gerade in der ambulanten Langzeitpflege haben wir einen Wust an Bürokratie.“ Auch für Übergaben einer Pflegenden zur nächsten sei eine digitale Dokumentation optimal.

Bisher scheuten aber viele Pflegedienste eine aufwendige Umstellung. Zwar seien die Einsparpotenziale hoch, doch die Umstellung auf Apps und Tablets koste vielen zu viel Zeit und Geld, sagt Tackenberg: „Es verändern sich dadurch allerhand Arbeitsabläufe und Prozesse.“ Außerdem müssten die Daten gut gesichert und gemanagt werden. Patienten müssen einer digitalen Lösung erst einmal ihr Vertrauen schenken und sie zu überzeugen kostet wieder Zeit – wenn es überhaupt gelingt.

Ein digitaler Pflegedienst spart viel Zeit

Wie ein moderner Pflegedienst schon heute funktionieren kann, macht Kenbi vor. Das Berliner Start-up gilt als digitaler Vorreiter im Pflegemarkt. Mit seinem eigenen Pflegedienst versorgt das Unternehmen mittlerweile 450 Patientinnen und Patienten in ambulanter Pflege im ländlichen Raum. 160 Pflegekräfte in zwölf lokalen Teams sind für Kenbi unterwegs. Fünf weitere Teams sind bis Mitte des Jahres geplant. Das erste startete im November 2019 im niedersächsischen Emmerthal. „Das Wichtigste war am Anfang, den Pflegeplan zu digitalisieren und die Touren digital zu planen“, sagt Katrin Alberding, Mitgründerin und Co-CEO von Kenbi. Dazu kommt eine eigene Messenger-Plattform, mit der sich die Pflegekräfte vernetzen können. „Jetzt geht es auch schneller, wenn mal eine Pflegekraft ausfällt und wir schnell Ersatz brauchen“, sagt Alberding. Wenn das Start-up in neue Bundesländer expandiert – wie zuletzt nach Nordrhein-Westfalen – kauft Kenbi einen bereits bestehenden Pflegedienst auf. Ansonsten wächst das Start-up organisch und versucht in Versorgungslücken zu stoßen, erklärt Alberding. 

Kenbi habe etwa 20 Prozent Zeitersparnis im Vergleich zu herkömmlichen Pflegediensten und könne sich dadurch intensiver um die Patienten kümmern, rechnet die Gründerin vor. Allein mit einem digitalen Fahrtenbuch spart eine Pflegekraft mehr als eine Stunde Zeit die Woche. Allerdings müssen den Krankenkassen für die Abrechnung immer noch ausgedruckte Formulare zugesandt werden. Das frisst weiter Zeit.

Peter Tackenberg vom Berufsverband für Pflegeberufe kritisiert die bisherigen Verfahren für die Abrechnung. „Die sind das Nadelöhr für die Digitalisierung“, sagt er. Seit zwei Jahren laufen Verhandlungsrunden über einen elektronischen Datenaustausch zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern, beispielsweise mobilen Pflegediensten. Doch bisher sei noch kein Fortschritt erreicht, bemängelt der Pflegeexperte. Schneller ginge es, wenn ein Vorstoß aus dem Bundesgesundheitsministerium käme. 

Bis das soweit ist, haben es Start-ups, die auf die Digitalisierung der Pflegebranche setzen, noch schwer. Kenbi und Wundera sind noch nur kleine Spieler im Pflegemarkt. Investoren sehen in derartigen Konzepten aber Potenzial. Kenbi etwa erhielt erst im Januar sieben Millionen Euro in einer Seed-Runde. „Durch die Kombination von Technologie und organisatorischer Innovation erfülle das Start-up alle Voraussetzungen, um dem Fachkräftemangel in Deutschland entgegenzuwirken, sagte damals Neu-Investor Michael Sidler vom Züricher VC Redalpine. Auch Wundera konnte sich zuletzt über mehr Geld freuen. Im Mai gab es eine siebenstellige Summe vom Lead-Investor, dem Technologiegründerfonds Sachsen. Zudem ist die App für den Sächsischen Gründerpreis nominiert. Es winkt ein Preisgeld von 30.000 Euro.

 


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