Immer mehr Start-ups machen Anwälten Konkurrenz, wenn es um einfache Rechtsdienstleistungen geht. Anbieter wie  Flightright haben damit großen Erfolg. Doch manches Geschäftsmodell ist auch umstritten.

1800 Bundesgesetze, hunderte Verordnungen auf Bundes- und Landesebene: Deutschland, das ist das Land der Vorschriften. Immer noch wird vieles per Papier geregelt, technische Neuerungen wie das digitale Anwaltspostfach sind ähnlich schwere Geburten wie die digitale Patientenakte. Entsprechend gilt die Rechtsbranche manchem als eingefahren. 

Sowohl junge Start-Ups als auch etablierte Player der Branche schicken sich an, genau das zu ändern. Sie drängen auf den Markt für „Legal Technology“, wie IT-Lösungen für den Rechtsbereich genannt werden. Sowohl für Juristen selbst als auch für die Verbraucher dürfte das in Zukunft die Art und Weise völlig verändern, in der Verfahren und Prozesse abgewickelt werden. Darauf setzen zumindest die Investoren.  2019 konnten Legal-Tech-Start-Ups weltweit erstmals mehr als eine Milliarde US-Dollar einsammeln.

Wie groß die Veränderung sein wird, hat der Fachverlag Wolters Kluwer in einer Umfrage festgestellt. Demnach haben drei Viertel aller Anwälte das Thema mittlerweile auf dem Schirm. Langfristig könnten sogar digitale Gerichtsverfahren möglich sein, in Dänemark gibt es bereits den digitalen Zivilprozess. Über ein eigens eingerichtetes Portal kommunizieren Gericht, Anwälte und Prozessbeteiligte miteinander. Schriftsätze reichen sie dort ein, auch das Urteil wird hochgeladen, womit es als verkündet gilt. Einreichung per Post geht nur noch in Ausnahmefällen, im Falle des Faxes sogar gar nicht, da dänische Gerichte keine entsprechenden Geräte mehr besitzen.

Deutschland, der Legal-Tech-Pionier

Und Deutschland? Prinzipiell gibt es Legal Tech hier auch schon seit Jahrzehnten. Der Anwalt Josef Kurth aus dem nordrhein-westfälischen Düren entwickelte bereits 1978 mit “AnNo Text” eine Kanzleisoftware. Mit dieser können Anwälte zum Beispiel digital diktieren, Mahnverfahren und Zwangsvollstreckungen vorantreiben. Spätestens mit dem zunehmenden Erfolg von Computern verbreitete sich das Tool rasant.

In den vergangenen Jahren ist eine ganze Reihe von ambitionierten Neugründungen dazugestoßen, die sich darum bemühen den Rechtsverkehr in Deutschland zu digitalisieren. Einige richten sich dabei ganz direkt an Anwälte, etwa der Berliner Vertragsgenerator LegalOS. Die drei Gründer des Unternehmens sind alle keine Juristen, sehen das aber nicht als Problem, man sei eher ein Infrastruktur-Start-up. LegalOS bietet eine Vertragserstellungssoftware an, die es selbst Laien möglich machen soll, einen Vertrag juristisch wasserfest zu gestalten. Ein Beispiel: Wird an einer Stelle verfügt, dass ein Angestellter eine Abfindung bekommt, erinnert das Programm den Nutzer an anderer Stelle, dass er noch die Höhe der Abfindung festlegen muss.

Tatsächlich geht es bei vielen der Neugründungen darum, vor allem klassische Routinearbeiten zu vereinfachen. Plattformen wie Flightright oder geblitzt.de ermöglichen es ihren Nutzern zum Beispiel, Schadenersatz von Fluglinien einzuklagen oder gegen ihrer Meinung nach unrechtmäßige Strafzettel vorzugehen.

Flightright ist dabei eine der größten Erfolgsgeschichten der deutschen Legal-Tech-Szene. Das von Philipp Kadelbach und Sven Bode gegründete Unternehmen gehört seit 2019 zum Medienkonzern Medien Union, Kadelbach ist aber nach wie vor Chief Legal Officer. Seine Firma hilft nach eigenen Angaben etwa 500.000 Flugreisenden pro Jahr. Diese legen Flightright ihren Fall vor, ein Algorithmus analysiert dann, ob ein Vorgehen gegen den Fluganbieter erfolgsversprechend wäre. Ist der Fall erfolgsversprechend, lässt sich Flightright die Forderung überschreiben und gibt es am Ende eine Entschädigung, erhält Flightright eine Provision.

Gerichtsprozess um Vertragsgenerator

Meistens reicht schon eine simple Zahlungsaufforderung, aber im Zweifel greift die Firma auch zu radikaleren Maßnahmen. 2017 tauchte ein Anwalt der Firma etwa mit einem Gerichtsvollzieher am Wiener Flughafen auf, um eine Maschine von Bulgaria Air zu pfänden. Nur weil die Fluglinie daraufhin in letzter Minute doch noch bezahlte, konnte die Maschine am Ende abheben.

Geblitzt.de geht ähnlich vor, allerdings prüfen hier Partnerkanzleien des Portals die Ansprüche möglicher Mandanten und übernehmen ganz regulär die Vertretung von deren Interessen. Die Prüfung ist dabei kostenlos, erst wenn das Verfahren vorangetrieben wird, muss der Kunde zahlen. Geblitzt.de bekommt Geld von den Partnerkanzleien, die dafür die Software des Start-ups nutzen können, um an neue Mandanten zu kommen.

Ganz ohne Reibung läuft der Vorstoß neuer Player in den Markt allerdings nicht. So streiten sich schon seit Jahren der Fachverlag Wolters Kluwer und die Rechtsanwaltskammer Hamburg vor Gericht. Auslöser ist Smartlaw, ein Vertragsgenerator, den Wolters Kluwer anbietet. Dort können Verbraucher selbst Verträge erstellen. Die Anwaltskammer war der Meinung, dass dies gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz verstoße. Dort wird geregelt, welche Dienstleistung ausschließlich qualifizierte Kräfte, etwa Anwälte, anbieten dürfen. In erster Instanz am Landgericht Köln bekamen die Anwälte recht, das Oberlandesgericht Köln entschied anders. Eine Revision der Rechtsanwaltskammer ist anhängig, es wird also wohl noch etwas dauern, bis Legal-Tech-Anbieter genau wissen, wie weit sie gehen können und welche Angebote weiterhin nur „richtigen“ Juristen vorbehalten bleiben. 


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