Der größte Kunde: Deutschland

Die Zusammenarbeit mit Behörden und öffentlicher Verwaltung könnte für Start-ups eine riesige Chance sein. Doch bisher trauen sich nur wenige Gründer in das komplizierte Dickicht der Vergabevorschriften. Warum sich das gerade ändert.

Start-ups haben oft eine sehr enge Sicht auf das Thema Konsum. Die prominentesten Unternehmen der Szene definieren sich als B2C-Firmen (Business-to-Consumer) oder B2B-Unternehmen (Business-to-Business). Was es bisher kaum gibt: B2G (Business-to-Government). Eigentlich ist das abstrus angesichts der Tatsache, dass die Staatsquote in Deutschland 2021 bei über 51 Prozent lag. Diese volkswirtschaftliche Kennzahl sagt vereinfacht aus: : Der Staat ist in Deutschland für gut die Hälfte des BIPs verantwortlich. Es wäre also genug Geld da, dass Start-ups abgreifen könnten.  

Lange Zeit waren Projekte mit dem Staat verschmäht, jetzt erkennen immer mehr  Start-ups das Potenzial und gehen aktiv auf Behörden zu, Wagniskapitalgeber sehen plötzlich Chancen auf dem Feld. Entsteht hier ein völlig neuer Milliardenmarkt? 

Die Govtech-Map, eine Ministudie, die Manuel Killian, Gründer und CEO des Govtech-Beratungsunternehmens Govmind, gemeinsam mit Oliver Schoppe durchgeführt hat, Investor beim B2B-Wagniskapitalgeber UVC Partners, zeigt, dass es mittlerweile hunderte Start-ups im Bereich Govtech gibt. In der Ministudie finden sich Unternehmen, die sich explizit an die öffentliche Hand richten, wie etwa die Plattform Komuno, die Kommunen bei der Finanzierung unterstützt, oder Polyteia, die eine Software zur Demografie-Datenanalyse anbietet. Aber Kilian und Schoppe beziehen auf ihrer Karte auch E-Scooter-Anbieter wie Voi und Tier oder Nachhilfeportale wie Gostudent mit ein. „Govtech ist weniger eine eigene Branche als ein Weg, das eigene Produkt zu betrachten“, erklärt Schoppe. Gerade zwischen dem B2B- und dem B2G-Markt würden die Grenzen verschwimmen, die Anforderungen von Behörden auf der einen Seite und großen Unternehmen wie Siemens oder der Deutschen Bahn auf der anderen Seite seien sehr ähnlich.

VCs werden langsam aufmerksam

Immer mehr trauen sich vermutlich auch deshalb den schwierigen Weg mit dem Staat zu bestreiten. Denn der Umgang mit Behörden bringt seine ganz eigenen Schwierigkeiten mit sich, auf die sich Unternehmen einlassen müssen, wie Manuel Kilian erklärt. „Prozesse in der öffentlichen Verwaltung sind teilweise sehr komplex, viele Stakeholder sind involviert, bevor etwas zum Einsatz kommt“, sagt er. Das strikte ­­Vergaberecht, mit dem Staatsaufträge ausgeschrieben werden, habe natürlich seine Berechtigung, schließlich gehe es immer um Steuergelder. „Aber im Detail ist der Inhalt öffentlicher Ausschreibungen manchmal so gestaltet, dass sie Start-ups de facto ausschließen“, beklagt er.

Nur einige der Probleme: Oft werde ein Mindestumsatz von Dienstleistern erwartet oder eine gewisse Anzahl realisierter Projekte. Kriterien, die junge Unternehmen nur schwer erfüllen können. „Dazu kommt, dass auf Seiten der Verwaltung oft die Ressourcen, die Erfahrung und manchmal auch der Wille fehlt, bei der Lösung eines Problems erstmal zu überlegen, was der beste Weg ist, anstatt direkt auf traditionelle Produkte zurückzugreifen“, ergänzt Kilian. Die oft flexiblere Herangehensweise von Start-ups passt hier nicht mit den Ansprüchen des Staates zusammen.

Auch bei VCs wurde ein Fokus auf den Staat als Kunden deswegen lange Zeit eher kritisch gesehen. „Das Geschäft mit der öffentlichen Verwaltung ist sehr regionalisiert“, erklärt Schoppe: „Da ist die Herausforderung, schnell eine europäische oder gar globale Lösung zu bauen, viel größer“. Entsprechend sei auch Skalierung schwierig, für viele Wagniskapitalgeber in der Regel der wichtigste Punkt. Da helfe es, wenn Unternehmen den Staat zwar als wichtigen, aber nicht einzigen Kunden hätten. Schoppe verweist etwa auf den Hochsicherheitsmessenger Wire, der Unternehmen zu seinen Kunden zählt, aber auch fünf der G7-Regierungen. Laut der Zeit war der Messenger sogar das Instrument der Wahl bei den Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, Grünen und FDP im vergangenen Jahr. „In so einem Fall ist die Zusammenarbeit mit dem Staat gleichzeitig auch noch gute PR, sie verleiht Glaubwürdigtkeit“, sagt er.

Wie ein KI-Start-up den Behördendschungel lichten will

Ein Unternehmen, dessen Produkt ohne Weiteres sowohl für den Staat als auch für die Privatwirtschaft interessant sein kann, ist Aleph Alpha. Die Firma aus Heidelberg bietet KI-Programme an, die Datensätze und Texte analysieren und daraus Informationen gewinnen kann. Für den Staat sei das an verschiedenen Stellen interessant, erklärt Aleph-Alpha-Manager Lorenz Lehmhaus. „So können wir zum Beispiel Chatsysteme für Anfragen bei Bürgerbüros revolutionieren“, sagt er. Bisherige Chatbots seien mit der Komplexität solcher Anfragen oft überfordert. Die Frage, ob ein Hund stets angeleint werden müsse, hänge etwa von Wohnort, Hunderasse und diversen weiteren Faktoren ab. „Wir können diese Komplexität mit unserer KI abbilden“, ist sich Lehmhaus sicher. Er sieht auch viele weitere Anwendungsbeispiele. So habe man ein Pilotprojekt mit BWI, dem IT-Systemhaus der Bundeswehr, erfolgreich absolviert. „Da haben wir mit riesigen Datenmengen an Dienstvorschriften gearbeitet.“ Auch parlamentarische Anfragen ließen sich mit der Software unter Umständen schneller beantworten.

Die Schwierigkeiten im Umgang mit öffentlichen Prozessen kennen sie bei Aleph Alpha auch. „Dafür muss man schon ein bisschen Überzeugungstäter sein“, meint Lehmhaus. „Aber es lohnt sich, denn zum einen besteht dort auch ein riesiger Bedarf an neuen Lösungen, zum anderen gibt es dort viele Menschen, die sich ernsthaft darum bemühen, dass Leben der Bürger zu verbessern.“ Auch Manuel Kilian von Govmind glaubt, dass verschiedene Faktoren dazu beitragen, dass Govtech eine wichtigere Rolle spielt. „Die Start-ups sind heute wesentlich reifer als noch vor ein paar Jahren, entsprechend können sie auch umfangreiche Projekte mit der Verwaltung besser stemmen.“ Gerade wenn es um Digitalisierung abseits von IT-Prozessen und um europäische Digitalsouveränität als Ganzes gehe, sei das Potenzial von GovTech enorm. In Berlin gibt es mittlerweile unter anderem den Govtech-Campus, an dem auch das Bundesinnenministerium beteiligt ist.

Und wenn der Eintritt in den öffentlichen Sektor einmal gegeben sei, könne eine Art Lawine ins Rollen kommen. „Verwaltungsmitarbeitende, die mit einer Lösung gute Erfahrungen machen, werden das innerhalb der Verwaltung teilen“, glaubt Kilian. Nach und nach würde so ein Netzwerk entstehen. 


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