Jetzt reicht's, wir haben genug geredet!

Warum ich den Ruf nach mehr Gründerinnen nicht mehr hören kann. 

Wir brauchen mehr Gründerinnen! Dieser Satz fällt seit Jahren automatisch, wenn es um das deutsche Start-up-Ökosystem geht. Es vergeht kaum eine Woche, in der ich nicht auf ein oft nur weiblich besetztes Panel eingeladen werde, um über die fehlenden Gründerinnen zu sprechen. Reihum haben sich alle Stakeholder:innen zum Thema geäußert und auch zahlreiche Studien belegen inzwischen, dass mehr Diversität der Wirtschaft nicht nur guttut, sondern auch die Bilanzen profitieren: Nicht nur bezogen auf das Geschlecht, sondern auch beim Alter und dem kulturellen Hintergrund führen durchmischte Teams nachweislich zu besseren Ergebnissen.

Man könnte also meinen, dass der Groschen gefallen ist, denn immerhin wird das Thema „Female Founders“ rauf und runter diskutiert. Doch genau das ist mein Punkt: Wir reden viel und schaffen es dabei nicht, echte Maßnahmen auf die Straße zu bekommen, die eine konkrete Wirkung zeigen. Das Problembewusstsein ist bei den Verantwortlichen also höchstens oberflächlich vorhanden. Geht es an die Umsetzung, dann ist – zumindest in meiner Wahrnehmung – noch nicht viel passiert. 

Ja, es gibt einzelne VCs, die sich inzwischen sogar in ihren Satzungen zur Förderung von Gründerinnen verpflichten – better ventures zum Beispiel. Aber leider ist das eine Ausnahme. Frauen(-teams) an der Spitze von Start-ups sind weiterhin eine Seltenheit und kurzfristig wird das auch so bleiben. Nicht, weil sie es nicht könnten oder nicht die richtigen Ideen hätten, sondern einfach, weil sie weniger Kapital bekommen. Statt immer nur weiter über die Bedeutung von Gründerinnen für die Wirtschaft zu diskutieren, müssen wir – Politik, VCs, Unternehmer:innen ebenso wie Eltern – endlich Taten und Resultate sprechen lassen. 

„Sticky habits“ und tiefsitzende Bias 

Denkmuster, mit denen man sozialisiert wurde oder Strukturen, in die man hineingewachsen ist, lassen sich meistens nicht von heute auf morgen ändern. Was ich mir allerdings wünsche: dass wir uns bemühen, hinter die Kulissen dieser Mechanismen zu blicken, um so die eigenen blinden Flecken zu entdecken. Es ist zum Beispiel erwiesen, dass Menschen sich gerne mit Dingen umgeben, die sie einschätzen können und die ihnen vertraut sind. Logisch, denn das minimiert Risiken in vielerlei Hinsicht. Das ist auch einer der Gründe, weshalb Investoren instinktiv lieber Gründer finanzieren, die an der gleichen Uni waren und aus dem gleichen Netzwerk kommen, Politiker statt frauenspezifischer lieber „allgemeine” (in Wahrheit aber von Männern geprägte) Agenden verfolgen und Eltern von kleinen Kindern oftmals die ausgefahrenen Spuren bei der Erziehung befahren, die sie vermutlich selbst erlebt haben.

Denn jede Initiative für mehr Frauen in Vorständen oder in Founder-Teams ist zum Scheitern verurteilt, wenn wir die Männer, die darüber entscheiden, nicht mitnehmen.

Dr. Sophie Chung, Gründerin Qunomedical

Das führt dann dazu, dass unser Start-up-Ökosystem männlich dominiert bleibt. Dass Themen wie beispielsweise die Reintegration in den Arbeitsmarkt nach der Geburt eines Kindes oder die entsprechenden Gehaltsstrukturen weiterhin systemische Hürden für Frauen bleiben. Und dass sogar in Berlin Prenzlauer Berg, wo das Schwimmen gegen den Strom eigentlich zum guten Ton gehört, Mädchen weiterhin hübsch und brav sind, während die kleinen Jungs mutig und stark werden. Diese tiefsitzenden Bias müssen wir im Kern erkennen, um sie dann beseitigen zu können: Indem wir Frauen bei allen Entscheidungen nicht nur mitdenken oder mitreden, sondern die Männer, so platt das auch klingt, mit ins Boot holen. Denn jede Initiative für mehr Frauen in Vorständen oder in Founder-Teams ist zum Scheitern verurteilt, wenn wir die Männer, die darüber entscheiden, nicht mitnehmen.

Richtungsweisende Entscheidungen und ein „leap of faith“ 

Veränderungen anzustoßen, die greifbare Ergebnisse zeigen, bedeutet Aufwand, Reibung und auch Konflikte. Klar, denn wenn das Thema mit einem einzigen Schalter erledigt wäre, hätten wir ihn schon lange umgelegt. Die Ressourcen und Maßnahmen, die notwendigerweise aufgebracht werden müssen, sind weniger finanzieller Natur, dafür aber auf gedanklicher und Organisationsebene  – und sie liegen bei jedem und jeder Einzelnen. Und deshalb wünsche ich mir, dass ein für alle Mal Schluss mit den Diskussionen auf der Metaebene ist. Deutschland hat so viel Potenzial, das einfach nicht genutzt wird, weil man(n) an den Schlüsselstellen zu bequem ist und die Notwendigkeit der Veränderungen womöglich gar nicht aktiv befürwortet. 

Es sind hier alle gefragt. Denn damit wir den Lippenbekenntnissen ein Ende setzen, dürfen wir den schwarzen Peter nicht immer weitergeben. Politik, VCs, Acceleratoren, Universitäten, Schulen und Eltern müssen sich gemeinsam dafür einsetzen, dass die Rahmenbedingungen Chancengleichheit gewährleisten. Die Initiative #stayonboard hat im vergangenen Jahr einen Stein ins Rollen gebracht und dafür gesorgt, dass das Thema Elternzeit für Vorstände:innen diskutiert und gesetzlich neu behandelt wird. Nicht jede Frau muss einen DAX-Konzern leiten oder ein Unternehmen gründen und nicht jedes Mädchen muss mit 13 Jahren perfekt programmieren können. Wenn sie das aber wollen, dann sollten sie nicht erst noch einen erheblichen Aufwand betreiben müssen, um die gesellschaftlichen und gesetzlichen Hürden zu nehmen.

Glücklicherweise gibt es schon einige Bewegungen, die sehr gezielt strukturelle Probleme angehen: Beispielsweise die Initiative 2hearts, die sich für mehr kulturelle Diversität einsetzt und durch ein Mentorenprogramm unterprivilegierten Talenten die Chance gibt, ihre Fähigkeiten zu entwickeln. Oder auch die Bildungsplattform Startup Teens, die den Unternehmergeist schon in jungen Jahren wecken und dafür sorgen will, dass Innovation nicht durch soziale Schranken verhindert wird. 

Diese Initiativen sind aber bei weitem nicht genug, sie sind höchstens ein Anfang. Was wir brauchen, ist ein Schulsystem, das der unternehmerischen Bildung einen höheren Stellenwert beimisst und Talente schon früh fördert. Wir brauchen Gesetze, die nicht erst bei Vorständinnen greifen, sondern viel früher konsequent für Gleichberechtigung einstehen. Wir brauchen eine ausgewogene Berichterstattung in den Medien. Wir brauchen mehr Investorinnen, die in eine größere Vielfalt an Themen investieren. 

Nehmen wir also unser Herz endlich in die Hand und auch die Menschen um uns herum in die Verantwortung. Lasst uns unsere Entscheidungen hinterfragen und aus alten Denkmustern ausbrechen - auch wenn es ungewohnt und ungewöhnlich ist. Diesen leap of faith müssen wir alle wagen. Jede:r einzelne von uns muss wirklich beschließen, seinen eigenen Beitrag dazu zu leisten, die Wirtschaft und das Start-up-Ökosystem weiblicher und diverser zu machen - egal ob klein oder groß. Sonst werden wir in 20 Jahren noch immer darüber sprechen, ohne etwas dafür getan zu haben.

(Foto: Startbase)

Female Founders Week 2021

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