Möbel-Start-ups erleben ein Rekordjahr

Start-ups aus der Möbelbranche verzeichneten 2020 teils die besten Monaten ihrer Geschichte. Sie hoffen, dass das Geschäftsmodell auch über die Pandemie hinweg trägt.

Als im März Läden, Schulen und Gaststätten erstmals schließen mussten, das öffentliche Leben nahezu komplett heruntergefahren wurde, da registrierten sie bei form.bar in Saarbrücken, wie immer mehr Leute die Webseite des jungen Unternehmens aufriefen. Und als die Konjunkturprognosen immer düsterer wurden, Firmen ihre Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken mussten, da fuhr das Start-up ein Rekordergebnis ein. 

„Wir haben in der Corona-Zeit bislang stark profitiert“, sagt Alessandro Quaranta, Gründer und Geschäftsführer des Saarbrücker Start-ups Okinlab, einem Laboratorium für Architektur, das die Design-Plattform form.bar betreibt. Die Nutzer können sich bei form.bar zentimetergenau Möbel designen und dreidimensional betrachten. „Wir versenden keine Möbel, sondern Daten”, erklärt Quaranta ein Kernelement des Geschäftsmodells. Form.bar arbeitet mit einhundert lokalen Schreinereien zusammen, welche die Möbel fräsen und innerhalb von vier bis sechs Wochen ausliefern. Mittlerweile ist form.bar in mehr als 25 Ländern nutzbar. Genaue Geschäftszahlen will Quaranta zwar nicht nennen, der Mai und November seien aber die besten Monate der Unternehmensgeschichte gewesen. 

form.bar-Gründer Alessandro Quaranta (l.) und Nikolas Feth. Foto: form.bar/Bäbel Schmiddt

Nicht nur form.bar schreibt offenbar Rekordzahlen, sondern viele Start-ups aus der Möbelbranche. Corona war für sie ein Wachstumsmotor, mussten oder wollten sich doch viele Menschen zu Hause neu einrichten. Der Online-Möbelanbieter home24 spricht 2020 schon zum zweiten Mal vom besten Quartal der Unternehmensgeschichte. Home24 konnte seinen Umsatz im dritten Quartal um 54 Prozent im Vergleich zum Vorjahr auf 118 Millionen Euro steigern. Bereits im zweiten Quartal vermeldete der Möbellieferant aus Berlin enormes Wachstum, war im Sommer erstmals ein Jahr lang am Stück profitabel.

Der Wert der Home24-Aktie versechsfachte sich

Den Grund für die guten Nachrichten sieht Home24 in der ausgebauten Plattform und durch „die vorteilhaften Nachfrageeffekte durch sowohl Neu- als auch Bestandskunden“. Allein im vergangenen halben Jahr hat das Start-up 400.000 Kunden neu gewinnen können. Die Aktie des Unternehmens kletterte von einem Tief im März von unter drei Euro auf knapp 18 Euro, versechsfachte sich also in acht Monaten. Ende des Jahres steigt Home24 in den SDAX auf, dem Börsenindex für kleine Unternehmen.

Auch das Start-up Westwing steigerte seine Zahlen. Das Münchner Unternehmen verkauft an registrierte Nutzer Möbel sowie Dekoration. Die Umsätze in Q3 stehen bei 98,6 Millionen Euro und haben sich im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um knapp 66 Prozent gesteigert. Westwing ist erst seit knapp zwei Jahren eine Aktiengesellschaft. Ein Anteilsschein war Anfang des Jahres für unter drei Euro zu haben, unmittelbar vor Weihnachten lag die Aktie bei über 31 Euro und überstieg damit wieder den Ausgabepreis von 2018. 

Westwing-Gründerin Delia Fischer. Foto: Westwing

Doch nicht nur Möbelverkäufer können von Corona profitieren, sondern auch Möbelvermieter. Für das Start-up Lyght Living Furniture Leasing aus Neu-Isenburg bei Frankfurt änderte die beginnende Pandemie alles. „Projekte für Büroeinrichtungen mussten plötzlich ganz andere Grundrisse bekommen als noch vor der Pandemie“, sagt Gründer und Geschäftsführer Daniel Ishikawa. Tische müssen nun beispielsweise weiter auseinander stehen und neue Trennwände eingebaut werden.

Kunden waren zu Beginn wochenlang nicht erreichbar

Dabei war am Anfang noch gar nicht klar, ob Lyght Living Furniture Leasing profitieren könne, sagt Ishikawa. So waren etwa einzelne Kunden mit Beginn der Pandemie wochenlang gar nicht mehr erreichbar – eine unsichere Zeit für das Unternehmen. Doch dann registrierten sie auch in Hessen eine erhöhte Nachfrage. Besonders beliebt waren in diesem Jahr Möbel fürs heimische Büro. Ein Büro-Paket mit Stuhl und Tisch lässt sich für vier Wochen Dauer ab 200 Euro mieten. „Die kurze Mietdauer bietet unseren Kunden eine Flexibilität, die sie mit einem Kauf nicht hätten“, sagt Ishikawa. Viele Firmen lassen von den Möbelvermietern die heimischen Büros ihrer Mitarbeiter einrichten. So brauchen sie Schreibtische und Stühle nur so lange mieten, wie Homeoffice notwendig ist. Die Quartale drei und vier schließt das Start-up nach eigenen Angaben voraussichtlich mit 30 Prozent mehr Umsatz ab als im Vorjahr.

Geschäftsführer bei Lyght Living Furniture Leasing: Daniel Ishikawa. Foto: Lyght Living Furniture Leasing

Doch so schnell die Start-ups auch gewachsen sind, an den Marktführer Ikea kommen sie noch lange nicht heran. 861 Millionen Euro erwirtschaftete Ikea im E-Commerce im Geschäftsjahr bis 31. August. Im Vergleich zum vorherigen Geschäftsjahr haben sich die Schweden damit um 74 Prozent gesteigert. Fast jeden fünften Euro verdient der Möbelhändler mittlerweile online. Seit diesem Sommer ist die Ikea App nicht mehr nur Produktschau, sondern Kunden können aus der App heraus bestellen und liefern lassen. Den gedruckten Katalog will das Unternehmen nun einstellen, das Online-Geschäft gehe vor.

Davon, dass das digitale Geschäft weiter wachsen wird, sind auch Quaranta von form.bar und Ishikawa von Lyght Living Furniture Leasing überzeugt. Ishikawa glaubt, dass das Homeoffice länger erhalten bleibt, selbst wenn Corona vorbei ist. Darüber hinaus fragten seine Kunden schon jetzt öfter aus Nachhaltigkeitsgründen bei ihm Möbel zur Miete an, ein Trend der in den nächsten Jahren deutlich stärker in den Fokus rücken wird, so der Gründer.

Anbieter aus der Region könnten profitieren

Für die Zukunft kommt es darauf an, wie treu die Kunden dem Online-Möbelhandel bleiben. Claudia Loebbecke, Professorin für Medien- und Technologiemanagement der Universität zu Köln, sieht den Vorteil für den Onlinehandel in Möbeln, die nicht probegesessen werden müssen, also zum Beispiel bei Schränken oder Tischen. „Zwar ist im E-Commerce auch der Wettbewerbsdruck noch größer, weil Kunden fast weltweit vergleichen können; aber die logistischen Herausforderungen sprechen durchaus für Vorteile für Anbieter in der Region.“ 

Für Start-ups wie etwa form.bar liegt eine große Chance in der Entwicklung von Software, die maßgeschneiderte Möbel oder die dreidimensionale Planung der Einrichtung erlaubt. „Allerdings werden derartige Softwareanbieter vermutlich zeitnah von größeren Möbelketten aufgekauft, da mittelfristig die Logistik anspruchsvoller sein dürfte als die Anwendung einer Software“, sagt Loebbecke. Auch werden durch die zunehmende Digitalisierung Start-ups in der Einzelanfertigung im höheren Preissegment wachsen, so die Wirtschaftswissenschaftlerin.


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