Wie ein Start-up aus Aachen die Intensivmedizin verändern will

Clinomic hat mit Mona eine KI entwickelt, die Ärzte unterstützen soll. Die Coronapandemie hat der jungen Firmen einen starken Schub gegeben. 

Mona weicht nicht von der Seite der Patientinnen und Patienten, kann sie jederzeit sehen und wenn die Ärzte ihr Fragen zu Vitalwerten entgegenschleudern, posaunt sie die aktuelle Lage im Körper der Patienten gleich heraus. 

Mona ist, das ist nicht zu verkennen, kein menschlicher Helfer, sondern ein digitaler. Das 2019 gegründete Start-up Clinomic aus Aachen hat die künstlich intelligente Assistentin in den vergangenen Jahren entwickelt und auf den Markt gebracht. Was Anfangs eine kleine Ausgründung aus RWTH Aachen, ist mittlerweile ein gestandenes Unternehmen mit rund 50 Mitarbeitern und einer achtstelligen Finanzierungssumme, welche die Firma eingesammelt hat. Zuletzt kamen noch einmal sieben Millionen Euro hinzu. 

Die Ursprungsidee ist relativ simpel: Ärztinnen und Ärzte sind heute viel schlauer als früher, weil sie mehr Daten haben – durch die Flut an Informationen aber zugleich überfordert. In der Regel produzieren die dutzenden Maschinen bei einem Intensivpatienten etwa 1.000 Datenpunkte in der Stunde, was für einen Arzt kaum zu überblicken sei, sagt Arne Peine, einer der insgesamt sechs Gründer. „Heute schreiben die Ärzte die wichtigsten Daten handschriftlich ab, damit sie überhaupt auf dem neuesten Stand sind. Das ist verrückt und kostet viel Zeit.”

„Heute schreiben die Ärzte die wichtigsten Daten handschriftlich ab, damit sie überhaupt auf dem neuesten Stand sind. Das ist verrückt und kostet viel Zeit”

Arne Peine, Co-Gründer Clinomic

Mona, das Herzstück von Clinomics, soll diesem Wahnsinn ein Ende bereiten, so die Vision. Die digitale Assistentin sieht aus wie eine zu groß geratenes Tablet, das an einem schwenkbaren Arm hängt, vorne ein Display, dazu acht Mikrofone, diverse Lautsprecher. Ebenfalls verbaut sind eine 180-Grad-Kamera, eine 5G-Antenne, KI-Chips und ein Touch-Display. 

Mona sammelt die Daten der Maschinen um sich herum, verarbeitet sie und berechnet mithilfe von Algorithmen, wie sich die einzelnen Werte wahrscheinlich in den kommenden Stunden entwickeln werden. Wird ein Wert ihrer Berechnung nach in acht Stunden wichtig, sagt sie das dem Arzt. Dazu entscheidet ein Algorithmus, welche Werte wirklich wichtig sind und pickt diese für ihn heraus. Will die Ärztin oder der Arzt etwas notieren, kann er es Mona diktieren. „Das Klemmbrett ist in vielen Krankenhäusern noch Standard, aber längst nicht mehr zeitgemäß. Mona ändert das”, sagt Co-Gründer Peine. 

So sieht Mona aus. (Foto: Clinomic)

Peine selbst ist gelernter Intensivmediziner, kennt also die Bedürfnisse der Ärzte vor Ort. 2019 haben er und seine fünf Mitgründer den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt. Anfangs hockten sie in einem viel zu kleinen Raum in Aachen aufeinander, finanziert haben ihren Start die öffentliche Hand und auch die Europäische Union. Später sammelten die Gründer weiteres Geld ein, was es möglich machte, ihr Gerät auch in die Serienproduktion zu geben. „Die ersten Maschinen haben hier fünf Ingenieure mit einem Schraubenzieher zusammengebaut, das ist jetzt alles viel professioneller”, sagt Arne Peine. 

„Die ersten Maschinen haben hier fünf Ingenieure mit einem Schraubenzieher zusammengebaut, das ist jetzt alles viel professioneller”

Arne Peine, Co-Gründer Clinomic

Das zeigt sich auch am jüngsten Auftrag, der direkt von der Europäischen Union kommt. 200 Geräte sollen sie in acht Länder liefern, um gegen die Pandemie anzukämpfen. Dabei soll Mona zur Überwachung der Patienten dienen, die Profis aber auch telemedizinisch unterstützten. Das bedeutet, Ärzte, die nicht vor Ort sind, können Intensivpatienten anschauen, ihre Daten einsehen und so bei der Entscheidungsfindung helfen. Gerade bei Krankenhäusern fernab von großen Städten oder sogar auf Inseln sei nicht immer das nötige Personal vor Ort, sagt Peine. Als die Coronapandemie ausbrach, setzte sich die EU-Kommission mit Clinomic zusammen und beauftragte sie, Mona in abgelegene Regionen wie auf die Insel Madeira vor der Küste Portugals zu liefern. Generell sei die Nachfrage nach Mona in der Coronakrise stark gestiegen, hunderte Geräte wurden bestellt. „Wir kamen mit der Lieferung kaum hinterher”, sagt Peine. 

So soll Mona am Patientenbett aussehen. (Foto: Clinomic)

Neben den alltäglichen Herausforderungen eines jeden Start-ups, bewegt sich Clinomic in einem hochsensiblen Bereich, einen, der tief in Privatsphäre der Patienten eindringt und entsprechend viel Schutz benötigt. Bereits in der Vergangenheit wurden Krankenhäuser gehackt, die Daten gesperrt oder ausgelesen. All das darf Clinomic, die mit der 180-Grad-Kamera bei Mona unter anderem auch Patienten aufzeichnen, niemals passieren. „Wir haben uns deshalb komplett von der Idee einer Cloud verabschiedet. Das macht alles komplizierter, aber es geht nicht anders”, sagt Peine. 

Was er meint: In der Cloud ließe sich beispielsweise die Spracherkennung sehr viel schneller verbessern und auch andere Rechenkapazitäten abrufen. Stattdessen bewegt sich Mona mit ihren Daten nur innerhalb der Krankenhausmauern, hat keine Verbindung nach Außen. „So stellen wir sicher, dass sich niemand von Außen reinhacken kann”, sagt Peine. 

Ersetzen soll Mona den Arzt übrigens nicht. Mona, das betont Peine, bleibe immer ein Empfehlungssystem, keines, das Entscheidungen trifft oder eigenständig ein Medikament gibt. Mona, das macht Clinomic-Chef Peine klar, so den Arzt nur effektiver machen. 


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