„Ich will nicht an der Nase herumgeführt werden”

Als jemand, der schon lange ein Teil der VC-Welt ist, hat Holger Witte schon so manches erlebt. Im Interview erklärt er, was heutzutage einen guten Pitch ausmacht – und was Gründerinnen und Gründer lieber gar nicht erst versuchen sollten.

Einen Fonds in Höhe von 150 Millionen Euro verwaltet Vorwerk Ventures derzeit. Seit 2019 ist der VC unabhängig von seiner namensgebenden Firma. Holger Witte ist seitdem mit an Bord. Vorwerk Ventures investiert zumeist in der Seed-Phase und beteiligt sich an Serie-A-Finanzierungsrunden. Im Interview erklärt er, wann ein Pitch Deck heraussticht.

Herr Witte, wie viele Pitch Decks landen bei Vorwerk Ventures eigentlich im Postfach?

So um die 3.000 sind es sicherlich. Die können wir mit unserem achtköpfigen Teams natürlich gar nicht alle komplett durchgehen. Deshalb “tindern” wir gewissermaßen erstmal: Alles, was so gar nicht zu unserem Profil passt, fliegt direkt raus. Wenn es passt, diskutieren wir, ob wir ein Meeting mit dem Start-up ansetzen wollen. Denn ganz ehrlich: Wir erhalten auch jede Menge Anfragen, die einfach gar nicht passen. 

Wie sah denn das schlechteste Pitch Deck aus, an das Sie sich zurückerinnern können?

Das ist tatsächlich schon viele Jahre her. Ein Beispiel, was mir aus meiner Zeit vor Vorwerk Ventures einfällt: Ein Gründer wollte eine Musikplattform nach Spotify-Vorbild aufbauen und sie nach seinem eigenen, doch sehr extravaganten, Musikgeschmack ausrichten. Das Design sollte im Stile der Webseite des Bundestags sein, was unpassend war. Ein Gründer hat in Ermangelung eines Fotos auch mal ein Bild seines Personalausweises in sein Pitch Deck eingefügt. Heutzutage sind die Pitch Decks aber deutlich besser und professioneller, solche negativen Ausreißer bekomme ich eigentlich nicht mehr. 

Gibt es denn noch positive Ausreißer?

Inhaltlich sind diese Decks inzwischen alle sehr ähnlich aufgebaut. Die meisten Gründer haben auch einen Designer nochmal drüber gehen lassen. Das empfehle ich übrigens allen. Das Auge isst ja bekanntlich mit. 

Im Internet lassen sich haufenweise Anleitungen finden, wie so ein Pitch Deck auszusehen hat. Nervt Sie der immer gleiche Aufbau nicht? 

Ich finde solche Anleitungen eigentlich sehr nützlich. Es kann aber durchaus sinnvoll sein, davon abzuweichen. Bei manchen Start-ups ist das Team besonders relevant, das will ich dann auch weit vorne sehen und nicht auf den letzten Seiten. Wenn das Produkt sehr kompliziert ist und ich auch nach Seite fünf nicht weiß, worum es geht, weil die allgemeine Guideline sagt: Erst auf Seite zehn kommt die Produktbeschreibung, dann ist das auch schlecht. Ich habe keine Lust, mich durch ein ganzes Pitch Deck durchzuklicken, um erst am Ende zu merken, dass es nicht zu uns passt. Vor allem muss aber die Storyline stimmen und es muss uns als VC möglich sein einen persönlichen Draht zu den Gründerteams herzustellen.

In welchen Fällen passt denn ein Start-up zu Vorwerk Ventures?

Wir investieren in Gründerteams mit disruptiven Produkt- und Service-Ideen, die das alltägliche Leben möglichst vieler Menschen verbessern. Natürlich muss eine Geschäftsidee zunächst zu unserer Investment-Hypothese passen und auch ausreichend Potential aufweisen. Aber dann kommt es auch sehr stark auf den persönlichen „Fit” mit den Gründern an. Wir müssen ja schließlich künftig sehr viel Zeit gemeinsam verbringen. Derzeit müssen bei guten Deals übrigens auch wir VCs pitchen, um an der Runde teilnehmen zu dürfen. Es sind somit ein zweiseitige Pitches – nicht nur seitens der Gründer, sondern auch seitens der VCs

Was sollten Start-ups, die Ihnen ein Pitch Deck schicken wollen, auf keinen Fall machen?

Ein Trick, den auch viele Gründer anwenden: Sie sagen, ein anderer VC hätte starkes Interesse. Sie versuchen damit, uns gegeneinander auszuspielen. Aber wir VCs kennen uns ja untereinander. Es sollte also tunlichst stimmen, wenn ein Gründer so etwas sagt – denn sonst wird es richtig unangenehm. Der größte Fehler ist, uns etwas nur über die allgemeine E-Mail-Adresse, die auf unserer Seite steht, zu schicken. Stattdessen sollten sich Gründer die Mühe machen, anderweitig ein Intro zu bekommen – beispielsweise über ihre Business Angels.

Sollte die nicht genau dafür da sein?

Ja, die E-Mail ist zur Kontaktaufnahme da – aber nicht für direkte Pitches. Das ist das schlimmste, was man machen kann. Ich habe in all den Jahren, auch nicht bei anderen VCs, bei denen ich war, erlebt, dass darüber eine Finanzierung zustande gekommen ist. Wenn Gründer sich nicht mals die Mühe machen, ein Intro für uns zu bekommen, dann kann aus dem Pitch eigentlich auch schon nichts werden. 

Wenn die Mehrheit der Pitch Decks inzwischen auf einem so hohen Niveau ist, wie können sich Gründerinnen oder Gründer noch abheben? 

Das eigentliche Pitchen wird immer wichtiger. Es muss Spaß machen, mit den Gründern über ihre Ideen zu sprechen. Es gibt Meetings, da schaue ich nach 30 Minuten auf die Uhr und hoffe, dass es bald vorbei ist. Im Idealfall merkst du gar nicht, wie schnell die Zeit vergeht. Ich muss den Gründern abnehmen können, dass sie selbst daran glauben, dass das Ding mal groß wird. Das ist natürlich ein schmaler Grat, sie sollen ja in ihrem Pitch auch nicht völlig übertreiben, sich nicht überverkaufen. Ich brauche keinen selbsternannten Sales-Guru.

Wurden Sie schon mal reingelegt? 

Ja, ich habe auch mal unangenehme Dinge erlebt: Beispielsweise ein Start-up, deren Idee wir echt gut fanden. Sie hatten aber das Risiko, dass sie bei ihrem Produkt eine einstweilige Verfügung ausgesprochen bekommen könnten. Im Grunde war das allen klar, wir fanden das Start-up trotzdem interessant. Als ich dann nachfragte, ob sie das als Risiko sehen, haben sie aber einfach “Nein” gesagt. Ich will nicht an der Nase herum geführt werden. Wir haben dann nicht investiert.

Viele Dank für das Gespräch.

zur Person: Holger Witte ist seit 2019 Partner bei Vorwerk Ventures und erfahrener Frühphaseninvestor – mit insgesamt 11 Jahren im VC-Geschäft. Seine Expertise und sein Netzwerk nutzt er, um in Consumer-Tech-Startups zu investieren, dazu gehören Sharpist, Formelskin und Boon. Zuvor war er bei Project A Ventures unter anderem für Inkubator-Projekte und später für das Fundraising und die Strukturierung von Folgefinanzierungen zuständig.


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