„Nimm, was du kriegen kannst“

Heyvie-Gründer Marius Krämer hatte für September eigentlich eine große Finanzierungsrunde geplant. Warum das so wohl nichts mehr werden dürfte, erklärt er im Interview.

Es sind düstere Zeiten, die Start-ups derzeit drohen. VC-Investoren, so deutet es sich zur Zeit an, werden deutlich vorsichtiger. Harte Kennzahlen dürften entscheidender werden als das Wachstumspotenzial junger Unternehmen. Heyvie-Gründer Marius Krämer versucht sich auf die Flaute nun vorzubereiten und Rät Gründerinnen und Gründern von kleinen Start-ups, sich jetzt noch viele Investoren an Bord zu holen – selbst wenn die Konditionen nicht die allerbesten sind.

Herr Krämer, Sie haben eigentlich für September eine große Seed-Finanzierungsrunde geplant, um das Wachstum von Heyvie finanzieren zu können. Blicken Sie noch optimistisch in Richtung Herbst?

Zu den Konditionen, die wir uns vorgestellt hatten, ist es inzwischen sehr unwahrscheinlich geworden. Der Markt erlebt gerade eine Konsolidierungsphase, er normalisiert sich wieder, damit müssen wir Gründer leben. Wir gehen aktuell davon aus, dass wir deutlich weniger Geld einnehmen werden als ursprünglich geplant, wenn wir nicht zu sehr verwässern wollen. Sollte aus der Finanzierungsrunde im September gar nichts werden, wird es eng. Dann ist erstmal Weihnachten, da findet eh nichts statt und wir müssten bis März warten. Und da weiß man auch nicht, was man erwarten soll.

Wie bereiten Sie sich auf die geplante Finanzierungsrunde im September vor?

Von dem, was ich so mitkriege, werden Investoren wieder stärker auf Finanzkennzahlen achten. Sie wollen sehen, wie zukunftsfähig das Geschäftsmodell ist. Sie wollen sehen, dass Start-ups bereits Umsätze generieren, sie wollen sich absichern. Wir gehen davon aus, dass wir das geplante Volumen der Finanzierungsrunde und die Bewertung unseres um 50 Prozent nach unten korrigieren müssen. 

Welche Rückmeldung erhalten Sie, wenn Sie zurzeit mit Investoren reden?

Seit gut vier Wochen sind alle deutlich vorsichtiger geworden. Investoren finden unser Start-up nach wie vor interessant, sie wollen aber deutlich sehen, dass unser Geschäftsmodell aufgehen kann. Deshalb werden wir für unsere App, mit der man mittels neurozentrischem Training Kopfschmerzen und auch Migräne vorbeugen oder reduzieren kann, bald Geld nehmen. Von Angel-Investoren habe ich nun schon häufiger gehört, dass sie Geld zurückhalten, um den Start-ups zu helfen, in die sie bereits investiert sind. 

Wir gehen davon aus, dass wir das geplante Volumen der Finanzierungsrunde und die Bewertung unseres um 50 Prozent nach unten korrigieren müssen. 

Marius Krämer, Heyvie-Gründer

Wie wichtig ist für Heyvie die geplante Finanzierungsrunde im September?

Sie wäre unsere gesamte Wachstumsfinanzierung. Mit Geld der aktuellen Runde im Rücken zeigen wir, dass unsere App funktioniert und das in einem immer größeren Rahmen. Das Geld reicht aus, um unsere App weiterzuentwickeln. 

Was passiert, wenn Sie kein Geld einsammeln können?

Wenn die Runde nicht kommt, ist das echt scheiße. Irgendwann geht dir das Geld aus. Deshalb versuchen wir zusätzlich, Kosten zu reduzieren. Das und die Zahlungsfunktion soll uns helfen, unseren Runway bis in den kommenden März zu verlängern.

Wie soll das konkret ablaufen? 

Wir müssen nun schnell umstellen. Wir versuchen jetzt nicht mehr, unser Produkt besser an die Bedürfnisse unserer Kundinnen und Kunden anzupassen, sondern das Thema Zahlung zu verstehen. Wie viel Geld können wir nehmen, funktioniert ein Abomodell? Wir setzen nun auf ein Hybridmodell. Es gibt ein persönliches Onboarding und dann kann man unsere 3-Monats-Programme kaufen, behält den Inhalt dann für immer. Zusätzlich machen wir dann alle zwei Wochen Calls. Aber ganz ehrlich: Ob das die richtige Methode ist, wissen wir nicht. Wir müssen gerade auch nach Bauchgefühl entscheiden. 

Und wie senken Sie ihre Kosten? 

Da geht es vor allem um kostenpflichtige Tools, die wir sonst aus Komfort-Gründen nutzen würden. Etwa um eine Landingpage zu bauen. Darauf verzichten wir, nutzen eher SaaS-Produkte, die wir bereits haben. Auch verzichten wir im Team auf fancy Getränke im Büro. Da wir sehr früh mit all den Maßnahmen anfangen, kommt da über die nächsten Monate einiges an Einsparungen zusammen. Wir reduzieren an allen Stellen, wo es Sinn macht und vertretbar ist – wir wollen unser Team in jedem Fall halten!

Übertreiben Sie nicht ein wenig? 

Klar, vielleicht ist das jetzt alles überdramatisiert und vielleicht zu schwarzmalerisch. Aber wenn es wirklich scheiße wird, dann ist es besser, darauf so gut wie möglich vorbereitet zu sein. Wenn du jetzt die entsprechenden Entscheidungen nicht triffst, dann hast du ein Problem, wenn später das Geld nur noch für zwei Monate reicht. Dann lohnt sich das mit den Kosteneinsparungen auch nicht mehr.

Was raten Sie anderen Gründern? 

Je mehr Investoren du an Bord hast, desto besser. Deshalb: Nimm jetzt, was du an Geld kriegen kannst. Auch wenn es nicht die perfekten Konditionen sind. Wer viele Investoren im Rücken hat, kann darauf hoffen, dass sie sich in einer schlechten Phase zusammen tun. Wer sich nur über zwei Investoren finanziert, bekommt ein Problem, sobald einer abspringt. 

Das heißt, Sie ziehen die Finanzierungsrunde im September auf jeden Fall durch? 

Die Runde musst du versuchen, so oder so. Es ist nicht der Weg zu sagen: das wird jetzt eh nichts. Das schlimmste, was dir passieren kann, ist wenn du mental gelähmt bist. Dann ist es irgendwann zu spät. Was viele Gründer aktuell wohl nicht deutlich sagen: Die aktuelle Situation macht auch was für die mentale Gesundheit. Da wird oft nicht drüber gesprochen. Aber es hilft nichts, man muss sich jetzt damit auseinandersetzen, auch wenn diese Phase gerade sehr belastend ist.

Zur Person: Marius Krämer, 31, hat International Management studiert und war danach bei Scale-up Bynder und seither in verschiedenen Projekten unterwegs, darunter ein Krypto-Fintech aus Bielefeld. In seiner Freizeit nutzt er jede Minute zum Bouldern oder für Camper-Reisen mit Hund und Freundin.


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