„Wir wollen uns selbst abschaffen“

Madeleine von Hohenthal und Benjamin Wenke wollen Meere von herrenlosen Fischernetzen befreien. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg, erklären sie im Interview.

Madeleine von Hohenthal und Benjamin Wenke wollten mehr tun, als nur ein paar aufsehenerregende Bilder von der unglaublichen Menge an alten Fischernetzen machen, die im Meer vor Ostafrika herumschwimmen und zahlreichen Tieren das Leben kosten. Nach einem Urlaub Tansania und Sansibar entschieden sich die beiden dazu, ihr Leben umzukrempeln und gründeten Bracenet. Mit ihrem Start-up lassen sie die Geisternetze aus dem Meer fischen und machen aus ihnen Armbänder.

Es gibt eine ganze Reihe von Unternehmen, die etwa Plastik aus dem Meer fischen möchten. Sie konzentrieren sich auf Geisternetze. Wie kam es dazu?

Wenke und von Hohenthal auf einem Haufen Geisternetze.

Madeleine von Hohenthal: 2015 waren wir für vier Wochen in Tansania und Sansibar unterwegs. Dort sind wir beim Tauchen und Schnorcheln zum ersten Mal in Kontakt mit den nicht enden wollenden Fischernetzen gekommen, die im Meer herumschwimmen. Bis zu diesem Zeitpunkt wussten wir noch nichts von den sogenannten Geisternetzten. Wir haben in ihnen viele Tiere gefunden und waren zutiefst erschüttert. Die Leute vor Ort haben uns erzählt, dass diese Geisternetze ein großes Problem darstellen, weil sie selbst nicht mehr genügend Fisch haben. Um das Problem selbst anzugehen, fehlt den Menschen vor Ort die nötige Infrastruktur und Ressourcen. Den Rest des Urlaubes haben wir Netze gesammelt und eines Tages hat sich Benjamin ein Netz um das Handgelenk gelegt und aus den Worten Bracelet (engl. für Armband) und Net (Netz) entstand Bracenet. So entstand die Idee, aus den Netzen Armbänder zu machen. Die nächsten Wochen haben wir dann weiter herumgesponnen und überlegt, was wir gegen das Problem tun können und sind dann mit zwei Rucksäcken voller Netze nach Hause geflogen.

Benjamin Wenke: Uns war schnell klar, dass eine Vor-Ort Dokumentation nicht nachhaltig etwas ändern würde. Daher haben wir mit Bracenet ein Statement fürs Handgelenk geschaffen, das einen täglich daran erinnert, etwas für den Meeresschutz zu tun.

Was macht Sie besonders? Mittlerweile gibt es ein großes Angebot an Armbändern aus Geisternetzen.

Ein Bracenet aus dem Tansanischen Meer.

von Hohenthal: Unser größter Alleinstellungsmerkmal ist, dass wir nicht nur Strände säubern lassen, sondern die Netze im großen Stil aus dem Meer geholt werden. Von unseren Einnahmen durch die Produkte, die wir verkaufen spenden wir immer einen Anteil an Organisationen wie Healthy Seas, Sea Shepherd, Everwave, das Ocean Voyages Institute und viele mehr. Bisher haben wir rund 190.000 € gespendet. Mit dem Geld werden die Bergungsmissionen finanziert sowie die Ausrüstung und Schulungen für die Teams. Unser Ziel ist es, vor allem präventiv viel zu tun und viele Projekte miteinander zu vernetzen.

Wenke: Mit dem Bracenet fing alles an. Wir waren die ersten, die die Netze so verwendet und upgecyclet haben. Mittlerweile haben wir viele neue Produkte im Sortiment. Auch unterstützen wir verschiedene präventive Angebote und haben so unter anderem die Gründung einer Fischerschule für nachhaltiges Fischen in Griechenland unterstützt. 

Haben Sie nicht die Sorge, dass die Armbänder wieder im Meer oder in der der Natur landen könnten?

Wenke: So etwas versuchen wir natürlich durch die Qualität der Bracenets zu vermeiden. Bisher haben wir aber noch nie davon gehört, dass es jemand beim Tauchen oder Schwimmen verloren hat.

von Hohenthal: Im Zweifel wäre es auch nur das Stück und nicht das gesamte Netz, das wieder im Meer landet. Wir haben unsere Armbänder über ein Jahr entwickelt, um die bestmögliche Qualität zu gewährleisten. Kaputte Bracenets werden von uns kostenlos ersetzt und die kaputten werden wieder recycelt.

Wie war es für Sie als Paar zu gründen?

von Hohenthal: Noch sind wir verheiratet, also es hat gut funktioniert (schmunzelt). Wir sind schon seit fast elf Jahren zusammen und seit fünf Jahren verheiratet. Vorletztes Jahr haben wir einen kleinen Sohn bekommen. Am Anfang war es etwas holprig, dass jeder seine Position findet. Wir sind es beide gewohnt Chef zu sein. Jetzt hat jeder seine Themen, die ihn interessieren. Natürlich haben wir aber trotzdem einen Ehevertrag über die Firma, damit alles geregelt ist im Falle des Falles und die Mitarbeiter abgesichert sind.

Was war die größte Herausforderung während der Gründung?

von Hohenthal: Alles. Wir sagen immer, dass es gut war, dass wir naiv waren und keine Ahnung hatten, was wir eigentlich tun. Ich würde jedem empfehlen zu gründen.

Wenke: Was uns wirklich schwergefallen ist, dass ganze Thema auch wirtschaftlich zu sehen. Wir tragen die Verantwortung für 33 Kollegen.

Welchen Tipp wollen Sie anderen Gründern mit auf den Weg geben?

von Hohenthal: Macht einen guten Vertrag beim Anwalt. Egal, ob ihr mit eurem Partner, einem Freund oder sonst wem gründet, sichert euch ab. Viele Start-ups trennen sich wieder und da ist es gut, wenn man im Voraus die Sachen geregelt hat, damit die Mitarbeiter aber auch alles Finanzielle abgesichert ist. Generell können wir empfehlen, sich als Team coachen lassen. Der Teampartner und in unserem Fall sogar Ehepartner ist das wichtigste Teammitglied. Man coached immer seine Mitarbeiter, aber wir sind ja für uns das wichtigste Team.

Wenke: Es ist super hilfreich, Sparring Partner zu haben, mit denen man sich austauschen und Unterstützung holen kann, wenn nötig. Wir sagen oft „aus Gremium wird selten Premium“, am Anfang haben wir viele verschiedene Leute nach ihrer Meinung gefragt. Wenn man selbst überzeugt ist, sollte man es tun. Eine gute Idee macht nur 20 Prozent aus, die restlichen 80Prozent sind die Umsetzung und erst hier fängt die Arbeit richtig an.

Wo sehen Sie Bracenet in drei Jahren? 

Ein Bergungsfahrt-Team von Bracenet.

Wenke: Das ist superschwer zu beantworten, weil wir nach wie vor keinen Businessplan geschrieben haben und lieber mit dem Wind segeln wollen. In drei Jahren wird es vermutlich wieder neue Probleme geben, um die wir uns dann kümmern müssen. Wir wollen uns die Flexibilität behalten. Ein Ziel von uns ist auch das Thema wieder mehr in die Politik zu bringen, so haben wir im Jahr 202 schon an der UN Ocean Conference teilgenommen und unser Wissen geteilt. Als Unternehmen kann man einiges mehr erreichen als eine Privatperson. Unser großes übergeordnetes Ziel ist, die Meere von Netzen zu befreien und uns selbst abzuschaffen.

Zu den Personen:

Madeleine von Hohenthal und Benjamin Wenke kommen beide aus dem Marketing. Mit Bracenet hat das Ehepaar sein erstes Start-up gegründet. Wenke arbeite zuletzt als Head of Marketing für Bosch, von Hohenthal war für die Agentur BBDO als Head of Art Buying tätig.


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