Bielefeld statt Berlin: Wie Ostwestfalen-Lippe zum hippen Start-up-Standort werden will

Ich will nicht nach Berlin, heißt es in einem Kraftklub-Song. Und neuerdings auch in Teilen der Start-up-Szene, die in Regionen wie Ostwestfalen-Lippe ihre Heimat sucht.

Jürgen Hase hat viel gesehen, von der Welt. Erst trieb es den studierten Nachrichtentechniker nach Katar, danach in die 32-Millionen-Metropole Mumbai, zuletzt gründete er seinen eigenen Company Builder P-ton – und zwar in Bielefeld. 

Von der Metropole ins Ländliche: Was im ersten Moment wie ein großer Rückschritt klingt, soll das nächste große Ding des Unternehmers werden. Denn geht es nach Hase soll Bielefeld mit seinen etwas mehr als 330.000 Einwohnern ein „Leuchtturmprojekt werden, wenn es um regionale Start-up-Hubs in Deutschland geht”, wie es der gebürtige Hannoveraner selbst ausdrückt. Doch nicht alle in NRW sind so euphorisch wie er. 

Geht es nach den Ostwestfalen-Lippenern dürfte die Sache klar sein: Bielefeld ist mindestens so cool wie Berlin. Zumindest für Unternehmen sind die Voraussetzungen gut. Die Region im östlichen Nordrhein-Westfalen zählt zu den fünf wirtschaftsstärksten Flächen des Landes – nicht zuletzt aufgrund diverser Mittelständler. Dazu locken regionale Wirtschaftsförderungen. 

Das zieht auch immer mehr Start-ups in die Region: Ihre Anzahl in Ostwestfalen-Lippe wächst jährlich um 34 Prozent, das zeigt eine Auswertung der Founders Foundation. Und damit wächst in der Region ein Netzwerk von Gründerinnen und Gründern, zu dem auch Unternehmer Jürgen Hase zählt – von Bielefeld aus fördert und finanziert er Start-ups, „die die Digitalisierung sozial gestalten”. Ein digitalisiertes Restauranterlebnis, hybride Gesellschaftsspiele, eine Blockchain-Ticketplattform – das sind nur drei der Projekte von P-ton. 

Hase blickt kritisch auf die klassischen Start-up-Hubs wie Berlin oder München. „Das Motto lautet dort oft: höher, schneller, weiter. Manchmal fernab der Realität“, sagt er. „Da geht es leider öfter von Anfang an darum, den Exit vorzubereiten und das schnelle Geld mitzunehmen.“ In Ostwestfalen-Lippe sei die Mentalität dagegen eine andere – hier ginge es vor allem darum, Unternehmen auch nachhaltig aufzubauen. „Die Region ist positiv bodenständig. Da wird nicht viel geredet, sondern auch einfach mal gemacht“, so Hase.

Wenn es der Region gelingt, eine Symbiose aus Start-ups und den zahlreichen erfolgreichen Mittelständlern, aber auch Großkonzernen zu schaffen, könnte sie durchaus zu einem attraktiven Standort werden. Das Kapital und unternehmerische Know-how sind da: Miele, Oetker, Bertelsmann sind nur drei der großen Namen neben den ganzen Hidden Champions aus dem Mittelstand.

Laut Hase ist das ein wertvoller Schatz, aus dem Gründer schöpfen können. „In einer Stadt wie Bielefeld habe ich viel schneller Kontakt zu potenziellen Geschäftspartnern oder Experten“, sagt er. In Städten wie Berlin sei das oft anders: „Da geht es erst über die Vorzimmerdame und ich bekomme einen Termin in sechs Wochen, wenn ich Glück habe.“ Da wundert es kaum, dass 83 Prozent der Start-ups in Ostwestfalen-Lippe im Business-to-Business-Segment arbeiten – ein bundesweiter Höchstwert.

An kreativen Köpfen fehlt es der Region nicht, aus den vielen starken Universitäten in Nordrhein-Westfalen gründen sich immer mehr Start-ups heraus, in Bielefeld direkt, aber auch die Unis in Köln, Münster und Aachen sind nicht weit entfernt. „Es ist wichtig, sich mit diesem Gründerpotenzial an den Universitäten zu verbinden und es zu fördern“, sagt Hase.

Timo Marks, Landessprecher vom Bundesverband Deutsche-Start-ups (BVDS) für Nordrhein-Westfalen, schlägt weniger euphorische Töne an, wenn es um die Chance von regionalen Start-up-Hubs geht. Großstädte behalten seiner Meinung nach ein paar Vorteile, im Vergleich zu ländlicheren Regionen: „Bleiben wir mal bei Berlin: die Stadt ist unheimlich international, da sind hochqualifizierte Leute aus aller Welt“, sagt er. „Dazu finden dort andauernd Start-up-Events wie Dachterrassenpartys von Venture Capitalists oder anderen Organisationen statt, auf denen sich Gründer vernetzen können.“

Qualifiziertes Personal und der Zugang zu Kapitalgebern: Genau das sind die größten Sorgen der Gründerinnen und Gründer in der Region Ostwestfalen-Lippe. Knapp zwei Drittel der regionalen Start-ups gaben im Start-up-Monitor an, dass sie unzufrieden mit dem Zugang zu qualifizierten Fachkräften und Kapital sind. In Berlin teilt dagegen nur ein Drittel der Gründerinnen und Gründer diese Sorgen.

Die Nähe zum Mittelstand sei auch nicht zwangsläufig nur vom Vorteil, so Marks, der selbst zwei Start-ups gegründet hat. „Umso größer die Unternehmen werden, mit denen man zu tun hat, desto mehr Zeit ist bei denen da“, sagt Marks. „Und für Start-ups gibt es eine goldene Regel: Die Zeit spielt immer gegen einen.“ Die Gefahr für Gründer sei also, Zeit in eine mögliche Geschäftspartnerschaft zu investieren, die am Ende vergeudet ist. „Wirklich erfolgreiche Start-ups lösen bestehende Geschäftsfelder ab. Das ist nicht unbedingt die Denke des typischen kleinen und mittleren Unternehmens“, so Marks. Außerdem verschärften starke Mittelständler und große Konzerne das Fachkräfte-Problem für Start-ups weiter, denn auch die seien immer auf der Suche nach qualifiziertem Personal.

Timo Marks blickt dennoch gespannt auf die Region Ostwestfalen-Lippe, in der er selbst mal für Bertelsmann arbeitete. Das Land lebe von den vielen kleinen und mittleren Unternehmen, „und ich fände es toll, wenn die beiden Kulturen Start-up und Mittelstand immer weiter zueinanderfinden“, sagt der BVDS-Landessprecher NRW. Vielleicht gelingt das Leuchtturm-Projekt in Bielefeld und zeigt, wie es regional funktionieren kann.


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