„Weniges hat auf Anhieb geklappt”
Flip-Mitgründer Dominik Sothmann sprich im Interview darüber, wie das Recherche-Start-up gemeinsam mit dem Schuhhersteller Monaco Ducks einen recyclebaren Sneaker entwickelt hat.
Etwas weniger als ein Jahr ist es her, seit das Recherche-Start-up Flip die Bilder einer illegalen Müllkippe in Kenia veröffentlichte. Berge von gebrauchten Textilien und Schuhen, aus Europa nach Afrika exportiert, wo sie niemand mehr gebrauchen kann und sie die Umwelt verschmutzen. Dorthin führte die Journalisten eine Recherche: die Sneakerjagd. Flip hatte dafür alte Schuhe von Prominenten mit GPS-Sender ausgestattet und sie in Recyclingboxen geworfen, um ihren Weg nachzuverfolgen.
Nach der Sneakerjagd startete das Start-up ein Experiment: Sie wollten einen recyclebaren Sneaker herstellen, dessen Sohle zu 25 Prozent aus dem Granulat geschredderter alter Schuhe besteht. Für das Projekt haben Flip und der Schuhhersteller Monaco Ducks inzwischen die neue Gesellschaft GRND gegründet. Im Interview spricht Flip-Mitgründer und GRND-Projektleiter Dominik Sothmann über das Projekt – und ihr aktuell laufendes Crowdfunding.
Herr Sothmann, Sie wollen einen Schuh herstellen, der das Müllproblem von Afrika löst. Wie soll das gehen?
Der Sneaker wird erstmal gar kein Müllproblem lösen. Wir sehen unseren Sneaker eher als Vormacherprojekt. Wir wollen erreichen, dass man über das Müllproblem in Diskussion kommt. Und wir hoffen, dass es bei Herstellern zu Überlegungen führt, zum Beispiel über Rücknahmesysteme, über die Schuhe wieder an dem Punkt ankommen, über den sie in Umlauf gebracht werden.
Die Idee klingt erstmal verrückt: einen eigenen Sneaker produzieren. Wie sind Sie drauf gekommen?
Für uns war am eindrücklichsten, die Bilder des Textilmülls in Afrika zu sehen. Das macht etwas mit einem. Anfang dieses Jahres haben wir beschlossen: Eigentlich dürfte man nicht bei diesem Problem stehen bleiben. Allerdings hatten wir null Ahnung von der ganzen Materie, wir sind ja keine Schuhentwickler. So sind wir dann mit Monaco Ducks und der Fakultät für Design, Mode und Nachhaltigkeit der Hochschule Reutlingen zusammengekommen, um ein offenes Experiment zu wagen. Wir haben uns schnell gesagt, dass wir auch Partner in Kenia brauchen, weil die Prozesse und Strukturen dort anders sind. Deshalb ist es gut, Africa Collect Textiles als kleines Start-up dabei zu haben, das uns dabei unterstützen kann. Oberste Prämisse war immer: Am Ende muss der Sneaker mehr nutzen als schaden.
Wie Sie sagen, hatten Sie keine Ahnung von der Herstellung. Und das hat trotzdem alles so funktioniert?
Nein, Weniges hat auf Anhieb geklappt. Partner zu gewinnen, war gar nicht so einfach, insbesondere in Kenia, einem Land, in dem es wirklich ganz andere Herausforderungen gibt, als an einem Sneaker-Experiment teilzunehmen. Unsere Vision ist, die Wertschöpfung immer weiter nach Kenia zu verlagern. Doch davon sind wir noch meilenwert entfernt. Aber irgendwo muss man anfangen. Irgendwann einen vollständigen Schuh in Kenia herstellen zu können, das wäre schon einfach mega.
In der Designphase haben wir darauf geachtet, eine gewisse Recyclingfähigkeit des Produkts von Anfang an mitzudenken.
Ab wann lohnt es sich denn, die gesamte Wertschöpfung nach Kenia zu verlagern?
Es ist nicht einfach zu beantworten, wann es sich lohnt, die Wertschöpfung nach Afrika zu bringen. Die Frage ist eher: Wie lange braucht man, um es adäquat vor Ort vorzubereiten? Wenn man in Etappen weiter denkt, braucht man jemanden, der die Sohle in Kenia herstellen kann. In dem Bereich haben wir aber noch nichts gefunden, was sich anbietet.
Bei Ihrem Crowdfunding schreiben Sie, dass ein herkömmlicher Sneaker circa 30 Komponenten hat. Ihr Sneaker hat nur 15, davon sind 13 recyclebar. Wie kann das sein?
In der Designphase haben wir darauf geachtet, eine gewisse Recyclingfähigkeit des Produkts von Anfang an mitzudenken. Die hängt davon ab, dass man möglichst wenig Teile und möglichst wenig verschiedene Materialien hat. Sonst hat man einen Schuh, den man erstmal in die Einzelteile zerlegen muss, um ihn anständig recyceln zu können. Der Oberschuh besteht deshalb hauptsächlich aus einem einzigen Material.
Damit Ihre Sneaker am Ende ihres Lebenszyklus nicht in Afrika die Umwelt verschmutzen, planen Sie ein eigenes Recyclingprogramm. Wie soll das funktionieren?
Auf der Zunge des Schuhs haben wir einen QR-Code angebracht, den man mit dem Handy einscannen kann und dann auf einer Seite landet, wo beschrieben ist, wie man diesen Schuh an uns zurücksenden kann. Der Kunde bekommt zehn Euro vom Kaufpreis zurück oder einen 20 Euro Gutschein für den Shop. Wie wir die Sneaker dann recyceln wollen, wissen wir in einigen Teilen noch nicht. Aber weil wir so wenig Materialmix im Oberschuh haben, bin ich zuversichtlich, dass eine Weiterverwertung gelingt.
Nach 54 Minuten haben Sie schon Ihr erstes Crowdfunding-Ziel von 10.000 Euro erreicht. Inzwischen haben sich mehr als 500 Menschen beteiligt. Wie erklären Sie sich den Erfolg?
Ich glaube, dass wir über die Sneakerjagd viele Menschen erreicht haben und dass es viele interessiert, wie man mit den aufgedeckten Problemen konstruktiv umgehen kann. Unser Projekt ist jetzt keine Allheilslösung, sondern ein möglicher Ansatz. Ich persönlich glaube, dass insgesamt ein Wunsch in der Gesellschaft da ist, nicht nur Probleme kennenzulernen, sondern auch mögliche Lösungen und zu erfahren, was man dagegen tun kann.
Wie geht es jetzt weiter?
Noch läuft unser Crowdfunding mit GRND noch wenige Tage. Wer mag, kann sich gerne daran beteiligen. Danach geht es erstmal um die Produktion der Crowdfunding-Menge. Das müssen wir organisieren und da müssen Materialien und Stoffe bestellt werden. Aber es ergeben sich auch neue Fragestellungen: Welches Personal braucht es, um sowas nachhaltig betreiben zu können? Und welche Vertriebswege sind in Zukunft wichtig? Das müssen wir erst noch planen.
Sie haben mit Flip den Skandal aufgedeckt, dann den Schuh gemacht und berichten jetzt auch über den eigenen Sneaker. Wie bewahrt sich die Redaktion ihre journalistische Unabhängigkeit, wenn finanzielle Interessen eine Rolle spielen?
Redaktion und Produktseite sind bei uns klar getrennt, so wie in jedem anderen Medienhaus auch. Als der Sneaker noch ein Experiment war, hat die Redaktion uns während der Prototypenentwicklung begleitet und darüber berichtet, was alles passiert ist. Seit Beginn des Crowdfundings hat kein einziger Journalist aus unserem Team mehr mit dem Schuh zu tun. Das Projekt ist übergegangen in eine eigene Firma, GRND. An dieser ist Flip genauso wie Monaco Ducks zu 50% beteiligt, in operativer Geschäftsführung befinden sich Produkt- und Innovationsexperten.
Vielen Dank für das Gespräch.
Zur Person: Dominik Sothmann hat im Jahr 2020 gemeinsam mit seinem Bruder Christian und den beiden Journalisten Felix Rohrbeck und Christian Salewski das Recherche-Start-up Flip gegründet. Seit Kurzem ist er auch Projektleiter bei GRND, dem gemeinsamen Joint-Venture von Flip und Monaco Ducks. Zuvor war Sothmann als Berater und Projektmanager in der Energiewirtschaft tätig, unter anderem beim Ökostrom-Anbieter Lichtblick.
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