ETFs, Aktien, Rentenvorsorge- für viele Menschen Themen, von denen man zwar schonmal gehört hat, aber der wirkliche Durchblick fehlt. Die beiden Gründerinnen des Stuttgarter Start-ups finance baby! wollen dies nun ändern. Mit ihrer Bildungsplattform für Finanzen, die speziell auf Frauen ausgerichtet ist wollen sie Frauen mehr Einblick in die Finanzwelt geben und dazu ermutigen ihre Finanzen selber in die Hand zu nehmen. Wie es dazu kam, was dem Fintech-Markt in Baden-Württemberg noch fehlt und was die beiden als Bürgermeisterinnen der Schwabenmetropole ändern würden, erzählen sie uns im Interview.

Wie seid ihr auf die Idee für euer Start-up gekommen?

Die Idee kam tatsächlich aus einem eigenen, persönlichen Problem im ersten Lockdown letztes Jahr, da plötzlich das Thema Kurzarbeit, Kündigungen und finanzielle Unsicherheit überall zu sehen und hören war. Denise hatte plötzlich große Angst vor einer Kündigung und ihr ist bewusst geworden, dass sie, sollte dies eintreffen, kaum Puffer auf dem Konto hat, der sie über Wasser hält und sie fernab davon auch überhaupt keine Ahnung von ihren Finanzen hat. Das Thema war immer etwas Fernes, das man von einem wegschiebt, weil es so unangenehm ist und es ja sowieso mehr Spaß macht, im Hier und Jetzt sein Geld auszugeben. 

Denise hat angefangen zu recherchieren und nach einer Lösung zu suchen, die anschaulich und einfach erklärt ist und vor allem so, dass die Angst vor dem Thema genommen wird, statt sie noch zu vergrößern. 
Es gab jedoch absolut nichts, was passend gewesen wäre und so hat sie das Thema kurzer Hand selbst in die Hand genommen, indem sie anfing, mit möglichst vielen Frauen über Geld zu sprechen. Schnell hat sie bemerkt, dass es nicht nur ihr so ging, sondern so ziemlich jeder Frau, mit der sie gesprochen hat. Dann war klar: eine Lösung muss her - und wenn diese keiner baut, dann bauen wir sie selbst. 

Warum habt ihr euch speziell auf eine weibliche Zielgruppe fokussiert und welche Herausforderungen gehen damit einher?

Mit ihren Finanzkursen möchten die Tessa und Denise Frauen jeden Alters dazu ermutigen ihre finanzielle Zukunft selbst in die Hand zu nehmen. ©finance baby!, 2021

Angebote im Finanzbereich sind stark auf den Mann ausgerichtet. Zum einen sind Inhalte nicht verständlich aufbereitet, es wird also oft davon ausgegangen, dass schon Vorkenntnisse da sind, was bei Frauen aber meistens nicht der Fall ist. Außerdem sind viele von uns noch mit traditionellen Rollenbildern aufgewachsen und leben oftmals selbst noch in diesen Rollenbildern: der Mann kümmert sich um das Geld und die Finanzen, die Frau bleibt bei den Kindern zuhause, hat das geringere Einkommen und überlässt Geldthemen dem Mann. Dadurch entstehen Berührungsängste mit dem Thema und die Frauen trauen sich erst gar nicht sich selbst mit dem Thema zu beschäftigen. Wenn dann aber der Fall eintritt, dass man plötzlich nicht mehr die finanzielle Sicherheit von einem Mann hat aus welchen Gründen auch immer, dann muss man sich mit dem Thema beschäftigen aber weiß überhaupt nicht wie und es fehlt ein Startpunkt, der einem genau sagt wo man anfangen soll und welche Schritte dann nacheinander kommen. 

In vielen Bereichen herrscht immer noch keine Gleichberechtigung von Mann und Frau und beim Thema Geld eben auch. Zum Beispiel liegt die Gender Pay Gap im Moment bei 18%, was bedeutet, dass Frauen für die exakt selbe Arbeit im Schnitt 18% weniger Geld bekommen als Männer. Ein anderes Beispiel: die Pension Gap also die Rentenlücke. Frauen erhalten im Schnitt 59% weniger Rente. Und das kommt z.B. dadurch, dass Frauen noch häufiger für die Erziehung der Kinder zu Hause bleiben und für diese Zeit natürlich weniger oder gar nichts verdienen. Hier fehlt es eben an Gleichberechtigung. Frauen sollten für die gleiche Arbeit gleich viel Geld bekommen und nicht nur aufgrund des Geschlechts anders behandelt werden. Oder Männer dürfen gerne häufiger in Elternzeit gehen. 

Wo habt ihr euch als Team kennengelernt?

Wir haben uns tatsächlich während Teresa’s Praktikum bei Mädchenflohmarkt kennengelernt. Denise hat damals das Marketing Team geleitet und schon beim Bewerbungsgespräch gemerkt, dass sie Teresa unbedingt mit an Bord haben möchte. Wir hatten die coole und zugleich auch gigantische Aufgabe, gemeinsam ein großes Rebranding durchzuführen und auf allen Kanälen auszurollen. Die Zusammenarbeit bei diesem Projekt hat so gut geklappt und wir haben einfach gemerkt, dass wir uns in unserem Können und in unseren Charakteren sehr gut ergänzen. 

Die beiden Gründerinnen Tessa und Denise haben gut lachen. Bald soll ihre Learning-Plattform ausgebaut werden. ©finance Baby!, 2021

Wie nehmt ihr Baden-Württemberg als FinTech Standort wahr? 

Quasi non-existing. Wir verbinden BW kaum mit FinTech, bis auf die Stuttgarter Börse und die damit einhergehende Initiative Stuttgart Financial, die derzeit ein echt cooles Projekt aufbaut, um genau das zu ändern. Wir denken, dass extrem viele FinTechs abwandern, da besonders das Thema Recruiting schwer ist, als auch Investoren in diesem Bereich zu finden. BW ist stark auf Nachhaltigkeit ausgelegt, was es uns auch extrem erschwert, gesehen zu werden oder gar Fördergelder zu erhalten. Als weibliches Gründerteam hat man es doppelt so schwer. 

Was würdet ihr euch für die Zukunft des Standorts Baden-Württemberg noch wünschen?

Eindeutig bessere Fördermöglichkeiten für Frühphasen StartUps die NICHT aus dem Hochschulumfeld kommen. Wir sehen es eindeutig als falsch an, so viel Geld in Hochschul-Start-ups zu stecken, da die Gründer oft keine Berufserfahrung haben und die Lösungen sehr theoretisch aufgebaut sind und nicht der Realität entsprechen. 
Zudem muss sich etwas in Sachen Förderung von Frauen und Female Founders bewegen. 

Welche Tipps würdet ihr anderen Frauen geben, die gerne ihr eigenes Start-up gründen würden?

Sich nicht beirren zu lassen und auch InvestorInnen eine menschliche Seite zu zeigen. Wir müssen uns nicht verbiegen, nur um Gelder einzusammeln oder vor einer Jury stark zu wirken. Vielleicht bringt uns das in dem einen Moment den Sieg, ja. Aber langfristig profitiert der, der sich selbst treu bleibt und ehrlich und offen ist. Und wenn das bedeutet, in manchen Momenten Unsicherheit zu zeigen oder ehrlich zu sagen, dass man eine Meinung nicht teilt, dann ist das in Ordnung. 

Langfristig profitiert der, der sich selbst treu bleibt und ehrlich und offen ist

Denise, finance baby

Wo seht ihr euer Start-up in drei Jahren?

Mit finance baby! geht es bald groß hinaus, die Learning Plattform soll nun professionalisiert und mit weiteren spanneden Kursen ausgebaut werden. ©finance baby!, 2021

finance, baby! ist eine Learningplattform, ein Ort des Vertrauens und eine Bewegung für mehr Gleichberechtigung. Lange dachten wir, dass der nächste Schritt nun unbedingt die GmbH Gründung und erste Finanzierungsrunde sein MUSS. Tatsächlich haben wir uns jedoch dazu entschlossen, möglichst lange unabhängig zu bleiben und finance, baby! zunächst zu bootstrappen. Wir konzentrieren uns aktuell voll darauf, unsere Learning-Plattform auszubauen und damit die Kommunikation von Finanzwissen für den Lebensalltag zu revolutionieren. Hierfür haben wir am 24.06. ein Crowdfunding gestartet, welches die Professionalisierung der Plattform finanzieren wird. Das heißt wir konzentrieren uns auf die Entwicklung der gewünschten Features, die Content Produktion von Online-Kursen für spezifische Themen.

Wir sehen finance, baby! langfristig als einen Ort der Begegnung - ein Zuhause für Frauen, sozusagen. Deshalb starten wir Ende des Jahres mit finance, baby! Meet Ups in ganz Deutschland, wo wir ohne Tabu über Finanzthemen sprechen und unfassbar tolle Frauen als SpeakerInnen haben werden. Außerdem gibt es bald die ersten Printprodukte, sodass wir die Frauen direkt im Alltag abholen und alltägliche Struggles erleichtern können. 

Welche Frau ist euer größtes Vorbild?

Denise: Ich muss ehrlich sagen, dass ich einige ganz, ganz tolle Frauen kenne, aber kein richtiges Vorbild habe. Wenn ich mich entscheiden muss, dann würde ich wahrscheinlich Christine Caine nennen. Christine ist Gründerin der Initiative A21, die sich gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution einsetzt. Sie hat unfassbare Kämpfe gekämpft, großes Leid erlebt und ist trotzdem nicht am Boden geblieben, sondern hat all das, was sie erlebt hat in Stärke umgewandelt, mit der sie anderen hilft. Das ist für mich die wohl beeindruckendste Lebensgeschichte, die ich kenne. 

Mal angenommen du wärst für einen Tag regierende Bürgermeisterin von Stuttgart, was würdest du ändern?

Wir müssen anfangen, Menschen zu sehen und zu verstehen, statt theoretische, perfekte Wege aufzuzeichnen, die nur auf dem Papier glänzen.

Denise, finance baby 2021

Denise: Ich denke, ich würde von theoretischen Denkweisen und Regeln abweichen und die Menschen zu Wort kommen lassen. In der Politik werden oft Entscheidungen getroffen und Ratschläge gegeben, die fernab von der Realität unseres Alltags sind. Wessen Arbeitgeber die Home-Office Regelungen nicht respektierte, sollte sich über den Arbeitsschutz beschweren und so gegen den Arbeitgeber vorgehen. Aber mal ehrlich: welche 19-Jährige Berufseinsteigern, die sich kaum ihre Miete leisten kann und Angst davor hat, ihren Job zu verlieren würde diesen Weg wählen? Das ist nur ein Beispiel von vielen. Wir müssen anfangen, Menschen zu sehen und zu verstehen, statt theoretische, perfekte Wege aufzuzeichnen, die nur auf dem Papier glänzen. Wir müssen zuhören. Am Leben teilnehmen, um zu verstehen. Wir müssen Kämpfe sehen und anerkennen und einen Lösungsweg für diese bieten. 

Vielen Dank für das Gespräch.

Zu den Gründerinnen:

Nach ihrem Studium der Kommunikationswissenschaften an der Uni Hohenheim arbeitete Denise als Marketing Managerin bei dem Stuttgarter Start-up Mädchenflohmarkt. Gemeinsam mit Teresa, die Werbung & Marktkommunikation an der Hdm studiert hat, war sie dort für ein großes Rebranding der Marketing zuständig. Aus den beiden Kolleginnen wurden Freundinnen und im Anschluss Co-Founderinnen. Seit Oktober 2020 starten die beiden nun mit Finance Baby gemeinsam durch.


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