„Die Menschen in diese Zockerei zu treiben, ist gefährlich"

Capco-Digitalexperte Alexander Braun spricht über die regulatorische Keule gegen Neobroker, warum Rückvergütungen nicht das Problem sind und was er Fintechs empfiehlt, die ein nachhaltiges Geschäftsmodell aufbauen wollen.

In den USA steht der Neobroker Robinhood schon länger im Kreuzfeuer der Börsenaufsicht SEC und verschiedenen Politikern, die die Gamification, aber auch das grundlegende Geschäftsmodell des Neobrokers unterbinden wollen. Hierzulande kämpfen Trade Republic und Scalable Capital, die beide mehr als eine Milliarde Euro wert sind, mit ähnlichen Problemen. Alexander Braun, Executive Director bei der Unternehmensberatung Capco sieht einige Probleme auf die Fintechs zurollen und gibt ihnen einen Mitschuld an risikoreichen und verhängnivsollen Zockereien.

Herr Braun, Discountbroker wie Robinhood, Trade Republic oder Scalable Capital verdienen viel Geld mit Rückvergütung. Was ärgert Kunden daran?
Sowohl die EU-Kommission als auch die SEC in den USA schauen sich aktuell einige Teile des Geschäftsmodells ganz genau an. Dazu gehört auch die Rückvergütung, also das Geld, was Broker von Market Makern dafür bekommen, die Transaktionen der Kunden über sie auszuführen. Weil die Neobroker sonst kaum Einnahmen haben, sind sie in besonderem Maße von Rückvergütungen abhängig. Der Vorwurf ist deshalb, sie würden die „kleinen” Privatanleger systematisch mit schlechteren Preisen versorgen als über reguläre Börsen. Daran ist meiner Meinung nach aber nicht viel dran. Denn schon heute kann das jeder überprüfen lassen und offensichtlich ist dabei nicht viel rausgekommen. 

In den USA musste Robinhood zwei hohe Zahlungen genau deswegen leisten.
Gemessen am gesamten Handelsvolumen waren das eher Einzelfälle. Dahinter steckt kein System, das die großen Hedgefonds gegenüber den kleinen Privatanlegern bevorteilt. Diese These mag gut klingen, aber sie deckt sich nicht mit der Realität. 

Die Aufsicht schaut sich das aktuell ganz genau an, in den USA wie auch in Europa. Droht trotz allem die regulatorische Keule?
Beide Aufsichten befassen sich aktuell mit dem Thema Rückvergütung und der Frage, ob das Geschäftsmodell im Interesse der Anleger liegt. Kommen sie zu dem Schluss, dass das nicht so ist, gefährdet das das aktuelle Geschäftsmodell der Neobroker. Das würde aber auch die etablierten Banken und Broker treffen, die auch von der Rückvergütung leben, wenn sie auch prozentual weniger abhängig davon sind, weil sie andere Einnahmequellen haben. Ich glaube aber nicht, dass das kommt, sondern, dass die Gefahren für die Neobroker woanders liegen. 

Ich habe zuletzt eine Mail von Trade Republic bekommen, die zwei neue Features angekündigt hat: Das Erste war noch mehr Derivate und das Zweite war die Möglichkeit, Realtime über die Kreditkarte und ApplePay das Konto fürs Depot aufzuladen. Da habe ich mir zwei Mal gedacht, dass das wahrscheinlich nicht im Interesse einer soliden Anlage ist.

Alexander Braun, Capco

Welche Gefahr droht dort Ihrer Meinung nach?
Rückvergütungen für riskante Derivate oder Kryptowährungen sind wesentlich höher als für Aktien oder ETFs. Sie machen bei Robinhood über die Hälfte der gesamten Einnahmen aus. Damit besteht ein wirtschaftlicher Anreiz Instrumente zu verkaufen, die nicht im Interesse einer nachhaltigen Anlage sind.  Diese Entwicklung ist auch in Deutschland zu befürchten. Ich habe zuletzt eine Mail von Trade Republic bekommen, die zwei neue Features angekündigt hat: Das Erste war noch mehr Derivate und das Zweite war die Möglichkeit, Realtime über die Kreditkarte und ApplePay das Konto fürs Depot aufzuladen. Da habe ich mir zwei Mal gedacht, dass das wahrscheinlich nicht im Interesse einer soliden Anlage ist. Denn auf Kredit zu handeln, ist sicherlich das schlechteste, was man machen kann, und Derivate bergen ein enorm hohes Risiko. Das kann ein Neobroker einem Anleger eigentlich nur aus einem Grund empfehlen: wirtschaftliches Interesse.

Neobroker sagen immer, dass der Anteil der Anleger, die mit risikoreichen Produkten handeln, extrem niedrig ist. Stimmt das?

In die deutschen Zahlen können wir aktuell noch nicht reinschauen, aber im Börsenprospekt für Robinhood lässt sich erahnen, wie die Zahlen auch in Deutschland aussehen. Tatsächlich machen Derivate nur 2,5 Prozent des gesamten Werts an Portolios aus, aber bei Robinhood sind diese 2,5 Prozent für ganze 38 Prozent der Einnahmen verantwortlich. 38 Prozent – da ist natürlich ein wirtschaftlicher Anreiz gegeben, die Menschen genau in solche Wertpapiere zu locken. Bei Trade Republic liegen die Rückvergütungen nach eigenen Angaben  zwischen drei und fast 18 Euro, wobei das obere Ende dieser Spanne sicher auf Derivate entfällt. Da ist eine große Marge drin. Die Menschen in diese Zockerei zu treiben, ist gefährlich, gerade bei jungen Menschen, die sich schnell die Finger verbrennen oder sogar Schulden anhäufen. 

Es ist zu kurz gedacht von Neobrokern, aber auch Etablierten, kräftig zu wachsen, indem man jungen Menschen riskante Produkte verkauft

Alexander Braun, Capco

In den USA hat es bereits einen Fall gegeben, bei dem ein junger Mensch Suizid begangen hat, weil er glaubte, viel Geld verloren zu haben. Sehen Sie die Gefahr, das Neobroker junge Menschen in diese Richtung treiben?*
Die Gefahr sehe ich auf jeden Fall, das ist auch ein Thema, das wir zuletzt in einer Trendstudie behandelt haben. Da ging es um Financial Health, was ein immer wichtigeres Thema wird. Es ist zu kurz gedacht von Neobrokern, aber auch Etablierten, kräftig zu wachsen, indem man jungen Menschen riskante Produkte verkauft. Denn wenn der Aktienmarkt einbricht und die Kurse runtergehen, befürchte ich, dass wir noch mehr solcher Fälle sehen könnten. Das wäre fatal und kann niemand wollen! 

Was müssen Neobroker tun?
Sie müssen viel stärker auf ein nachhaltiges Geschäftsmodell bauen, in dem sie Anleger durch Financial Literacy an die komplexen Strukturen heranführen und sie nicht kurzfristig in einzelne Meme-Stocks wie Gamestop oder Kryptowährungen wie Bitcoin oder Dogecoin locken. Wir brauchen mehr Financial Health. Klar, meistens ist die Nutzung dieser Apps auf den Usability-Leitsatz “Don’t make me think” angelegt, aber das ist bei Finanzen fatal. 

Wenn diese Selbstregulierung nicht stattfindet, muss es die Aufsicht tun. 

Alexander Braun, Capco

Sie sprechen das Design der Apps an, das in der Vergangenheit oft für seine Gamification kritisiert wurde. Wird sich das ändern? 

Ich glaube, das ist der erste Ansatzpunkt der Regulierer – zumindest in den USA, wo der Einsatz wesentlich prominenter ist als in vielen hiesigen Apps. Robinhood musste schon die Konfettikanone entfernen, die aufleuchtet, wenn man etwas gekauft hat. Auch kleinere „Dark Patterns“ genannte Ansporne, etwa den Knopf für “Kaufen” größer zu machen als für “Kauf abbrechen” wird sich die Aufsicht genau ansehen und im Zweifelsfall untersagen. Die Neobroker können dem zuvorkommen, indem sie Gamification, die nachweislich eine gewisse Abhängigkeit schafft, aus dem Wertpapierhandel rausnehmen. Wenn diese Selbstregulierung nicht stattfindet, muss es die Aufsicht tun. 

Was würden Sie den Neobroker langfristig raten? 

Bisher hat es sich nicht in den Nutzerzahlen niedergeschlagen, aber sollte der Markt einbrechen, werden sich viele Nutzer die Finger verbrennen und sich aus der Wertpapieranlage zurückziehen. Allein der Hype um Dogecoin macht bei Robinhood ein Drittel aller Kryptoeinnahmen aus. Wenn das zu Ende geht, schlägt sich das im Geschäft nieder. Neobroker sollten statt auf so kurzfristige Gewinne daher lieber auf die Förderung fundierter Anlageentscheide ihrer Kunden setzen, um Nutzern langfristig die Möglichkeit zu geben, ein Vermögen aufzubauen – nicht, um kurzfristig zu zocken. Das ist nicht nachhaltig. 

Vielen Dank für das Gespräch.

zur Person: Alexander Braun ist Digitalexperte beim Beratungsunternehmen Capco, einer globalen Management- und Technologieberatung für Banken und Finanzdienstleister. Er verfügt über 20 Jahre Erfahrung in der Beratung, ist spezialisiert auf die Herausforderungen der digitalen Transformation von Konzernen und unterstützt Unternehmen beim Aufbau neuer digitaler Geschäftsmodelle. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei seit Jahren auf der deutschen Fintech-Industrie.

*Anmerkung der Redaktion: Wir haben uns entschieden, wenn überhaupt zurückhaltend über Suizide oder Suizidversuche zu berichten. Der Grund für unsere Zurückhaltung ist die hohe Nachahmerquote nach jeder Berichterstattung über Selbsttötungen. Wenn Sie sich selbst betroffen fühlen, kontaktieren Sie bitte umgehend die Telefonseelsorge (http://www.telefonseelsorge.de). Unter der kostenlosen Hotline 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhalten Sie Hilfe von Beratern, die in vielen Fällen Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen konnten.


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