„Lindner könnte bei Steuern einiges reißen"

Melchior Neumann ist Mitinitiator der Kontist Steuerberatung und frustriert über die Privilegien der Steuerberatungsindustrie. Im Interview holt er zum Rundumschlag aus – und hofft auf den Finanzminister. 

Melchior Neumann will mit Kontist die Steuern für Selbstständige vereinfachen, doch beißt sich an Lobbyverbänden, Steuerberatern und Finanzministern die Zähne aus, sagt er. Zu langsam, zu verliebt in den Status Quo, zu behäbig: Der gelernte Steuerfachangestellte kennt viele Vorurteile über seine Zunft und sagt, die allermeisten davon seien wahr. Im Interview spricht er über die Benachteiligung von Taxtech-Unternehmen, warum Legaltech so viel weiter ist und was er sich von Finanzminister Christian Lindner erwartet. 

Herr Neumann, Fintech und Legaltech kennt jeder. Mit Kontist wollen Sie Taxtech machen, aber irgendwie hebt die Branche nicht so recht ab. Was ist da los?

Diese Frage bekomme ich von Freunden und Bekannten ständig gestellt. Ich kann da relativ schnell sagen, was da los ist: Die Banken und Rechtsanwälte sind innovationsfreudiger und offener für digitale Lösungen in ihrem Bereich. Viele Steuerberater sehen Digitalisierung und Technologie immer noch als Bedrohung statt als Chance.  

Woran machen sie sowas fest? 

Das sind ganz viele Dinge. Nur ein Beispiel: Eigentlich müsste in der EU per Gesetz eine Freiheit der Dienstleistungen gelten. Das heißt, französische oder spanische Steuerberater dürften in Deutschland ihre Dienste anbieten, plötzlich gebe es total viel Wettbewerb um die Kunden. Aber die Steuerberater ziehen die Umsetzung einer solchen Freiheit einfach bis in alle Ewigkeit – oder zumindest bis in die Rente. 

Steuerberater wollen gern den Status Quo behalten, bis sie in Rente gehen, zumindest die älteren unter ihnen

Melchior Neumann, Kontist

Warum glauben Sie, ist das so?

Steuerberater in Deutschland haben eine vom Staat gesicherte Marge, das garantiert ihnen die gesetzliche Vergütungsverordnung. Um es sehr vereinfacht zu sagen: Wenn sie drei Stunden für etwas brauchen, statt nur eine Stunde, verdienen sie mehr Geld. Diese Vergütung ist ein riesiger Pain. Steuerberater wollen deshalb gern den Status Quo behalten, bis sie in Rente gehen, zumindest die älteren unter ihnen. Wenn ich mit jungen Kollegen spreche, dann sind die oft auch überfordert mit all den Aufgaben, die nur sie machen dürfen. 

Melchior Neumann ist bei Kontist verantwortlich für Taxtech. (Foto: Kontist)

Sie sprechen von den Vorbehaltsaufgaben, die per Gesetz nur Steuerberater ausüben dürfen. 

Genau. Dazu gehört beispielsweise, dass nur sie als Dienstleister eine Umsatzsteuer-Voranmeldung abgeben dürfen oder die Steuererklärung machen dürfen, außer der Unternehmer macht es gleich selbst. Wenn wir als Steuerapp die Umsatzsteuer-Voranmeldung machen, dann machen wir alles automatisiert. Aber wir dürfen es, obwohl wir es können, nicht vollständig automatisieren. Also unterbrechen wir unsere Automatisierung und drücken manuell auf einen Knopf, weil diese Aufgabe nur ein Steuerberater erledigen darf. Das ist doch ein vollkommen verrücktes System. 

Das wird der Lobbyverband der Steuerberater nicht gern hören, aber zum Geier: Schmeiß doch ein paar Vorbehaltsaufgaben raus.

Melchior Neumann, Kontist

Was schlagen Sie vor? 

Das wird der Lobbyverband der Steuerberater nicht gern hören, aber zum Geier: Schmeiß doch ein paar Vorbehaltsaufgaben raus. Es bringt doch nichts, wenn Steuerberater ständig klagen, dass sie überlastet sind mit all den Aufgaben, dass weiterhin nur sie diese Aufgaben machen dürfen. Selbst wenn ich als Steuerfachangestellter wüsste, was du machen musst mit deiner Steuer, dürfte ich es dir nicht sagen, weil ich dann als Steuerberater tätig wäre. Dabei wäre dir geholfen, mir geholfen und der Steuerberater hätte weniger Arbeit. Das Gleiche gilt natürlich für eine vollautomatische Lösung. Aber das will der Gesetzgeber nicht. 

Finanzminister Christian Lindner könnte bei Steuern einiges reißen.

Melchior Neumann, Kontist

Der Gesetzgeber befürchtet, dass Steuererklärungen womöglich falsch sind und wer soll dann dafür haften? 

Ganz ehrlich: Wir würden das Risiko gerne übernehmen. In 98 Prozent aller Fälle gibt es bei Betriebsprüfungen sowieso keine Nachzahlung und wenn doch, ist die oft nicht sehr hoch bei den Selbstständigen, die wir betreuen. Statistisch gesehen werden die alle 90 bis 100 Jahre geprüft und haben eine niedrige Nachzahlung. Das ist ja kein großes Haftungsrisiko, was wir gerne tragen würden. Wenn wir dürften, würde ich den Service anbieten: Zahle uns X im Monat und wir zahlen bei Fehlern im Falle einer Betriebsprüfung deine Steuernachzahlung. Das ist gesetzlich leider nicht erlaubt.

Erwarten Sie in der aktuellen Legislaturperiode Unterstützung aus der Politik für Start-ups wie Kontist?

Finanzminister Christian Lindner könnte bei Steuern einiges reißen. Ich glaube, er würde auch gerne, dass die Leute sich an ihn als Steuervereinfacher erinnern. Aber dann steht wieder der mächtige Verband der Steuerberater vor der Tür und sagt: So können wir das nicht machen. Die würden niemals etwas vorschlagen, was auch ohne Steuerberater geht, selbst wenn es für viele Menschen besser wäre. Ich will das denen nicht vorwerfen, weil das muss ein Lobbyverband machen. Aber es hilft weder uns als Start-up noch den Menschen, die hunderte Euro für einen Steuerberater ausgeben, der total überarbeitet ist. Da müssen wir aufräumen.  

Zur Person: Melchior Neumann ist 33 Jahre alt und Mitinitiator der Kontist Steuerberatung mbH in Berlin. Nach seiner Ausbildung zum Steuerfachangestellten war er bei KPMG tätig und beriet im Anschluss Unternehmen wie felix1, Lexoffice, Debitoor und Klarna. Vor neun Jahren hat Melchior Neumann das Portal steuerazubi.de ins Leben gerufen. 


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