„Redet mehr über euer Scheitern“

Immer häufiger schreiben Gründer über ihr Scheitern lange Blogbeiträge. Was das bringt und wie die Beiträge am besten aussehen sollten, erklären die Forscher Christoph Seckler und Erik Schäfer im Interview. 

Fuck-up-nights waren gestern. Besonders in den USA schreiben Gründer gerne lange Beiträge auf Linkedin und anderen sozialen Netzwerken, nachdem sie gescheitert sind. Die einen wollen sich einfach nur im besseren Licht darstellen, andere ihre Erfahrungen mit der Community teilen. Laut den Wissenschaftlern Christoph Seckler und Erik Schäfer kann das ein großer Gewinn für die Start-up-Landschaft sein – wenn Gründerinnen und Gründer dabei einige Regeln beachten. 

Herr Seckler, Herr Schäfer, Sie haben sich sogenannte Post-Mortem-Statements angeschaut, also Beiträge, in denen Gründer über ihr Scheitern schreiben. In Deutschland ist das noch nicht weit verbreitet. Wie schwer war es, solche Beiträge zu finden? 

Erik Schäfer: Es gab damals zum Glück eine Website, die solche Statements gesammelt hatte. Wir mussten dann nur noch Kriterien anlegen, welche Beiträge für uns geeignet sind. Uns war zum Beispiel wichtig, dass die Statements von den Gründern selbst verfasst worden waren. Am Ende haben wir 64 Statements ausgewertet und uns angeschaut, wie Gründer darin ihr Scheitern kommunizieren. 

Christoph Seckler: Mit der Studie hatten wir bereits 2015 begonnen, sie ging aus einer Masterarbeit hervor. Was auffällig war: Die meisten dieser Statements kommen aus den USA. Die Seite ist inzwischen leider nicht mehr online. Es gibt inzwischen mit Getautopsy aber eine Nachfolgeseite, die wiederum solche Statements sammelt.

Inzwischen ist die deutschsprachige Version Ihrer Studie veröffentlicht worden. Sie haben also sieben Jahre für ein achtseitiges Dokument gebraucht. Warum hat das denn so lange gedauert? 

Schäfer: Das ist im wissenschaftlichen Prozess leider gar nichts Ungewöhnliches. Zum einen haben wir zu viert an dieser Studie gearbeitet, alleine die Koordination nimmt Zeit in Anspruch. Und dann ist der Review-Prozess sehr aufwändig. Man reicht ein Paper ein, erhält nach langer Wartezeit eine Rückmeldung des herausgebenden Mediums, dann überarbeitet man es und es geht wieder von vorne los. All das dauert. Wir haben mit dieser Studie aber eine zeitlose Typologie von Post-Mortem-Statements entwickelt, sodass sich unsere Arbeit und unsere Ergebnisse auch problemlos in die Gegenwart übertragen und nutzbar machen lassen.

Was haben Sie bei der Untersuchung dieser Genres herausgefunden? 

Seckler: All diese Statements folgen vier Kategorien, wir nennen sie: Prescription, Explanation, Description und Affection. Es gibt also, ins Deutsche übersetzt, vorschlagende, erklärende, beschreibende und emotionale Beiträge. Alle vier haben gemeinsam, dass sie für die Community einen Lerneffekt erreichen wollen. Das war für uns die spannendste Erkenntnis. Solche Post-Mortem-Statements sind damit ein tolles Tool, um Learnings weiterzugeben. Denn es gibt Fehler, die wiederholen sich von Gründung zu Gründung, zum Beispiel, dass die Marktnachfrage zu gering ist, oder dass es im Team nicht harmoniert hat. Wenn Gründer sich darüber mehr austauschen, hilft das allen. Ich kann daher auch der Community in Deutschland nur raten: Redet mehr über euer Scheitern.

Welche Art des Post-Mortem-Beitrags ist denn am besten geeignet, um über seine Fehler zu berichten? 

Schäfer: Das hängt immer auch am Einzelfall. Am meisten verbreitet war die vorschreibende Variante, also Prescription. Darin diskutieren Gründer die Herausforderungen, vor denen sie mit ihren Start-ups standen und was sie anschließend aus dem Scheitern gelernt haben. In diesem Genre kommt unserer Meinung nach der Gedanke, ein Learning für alle zu kommunizieren, am besten herüber, weil die Autoren viele Fakten und Zahlen nennen. Bei dieser Art von Statements kommt es aber häufig dazu, dass die Gründer prahlen und versuchen, sich selbst darzustellen. 

Worin unterscheidet sich dieses Genre von der Explanation? 

Seckler: Bei Prescription versuchen Gründer ihre Erfahrungen zu verallgemeinern. Bei Explanation konzentrieren sie sich nur auf ihren eigenen Fall. Dabei agieren die Autoren auch nicht so prahlerisch. Sie wirken eher entschuldigend und selbstbeschönigend. Schuld am Scheitern ihres Start-ups sind darin oft auch externe Gründe. 

Was zeichnet die beiden anderen Genres aus? 

Schäfer: Bei Affection geht es den Gründern vor allem darum, sich nochmals bei ihrem Team und all den Stakeholdern zu bedanken. Diese Art von Statements machen allerdings die wenigsten. Nur sechs Prozent aller Beiträge waren darauf ausgelegt. Auch nutzen Gründer hier gerne Superlative, etwa, dass es die härteste Entscheidung ihres Lebens war, ein Projekt aufzugeben. 

Seckler: Im Genre Description wiederum erzählen Gründer chronologisch die Geschichte Ihres Start-ups. Das soll ihre Entscheidungen im Nachhinein plausibel machen. Es ist also auch eine Rechtfertigung für das Scheitern. Häufig bezeichnen die Autoren auch selbst ihre Berichte als ein Instrument, um mit ihrem Scheitern umzugehen. 

Mit einer Kultur des Scheiterns ist das in Deutschland häufig immer noch so eine Sache. 

Seckler: Das stimmt, wenngleich sich durch Fuck-up-Nights auch hierzulande schon einiges getan hat. Aber mal ehrlich: Acht von zehn Start-ups scheitern, da kann ich als Gründer natürlich für mich behalten, woran es lag, oder ich helfe anderen, nicht den gleichen Fehler zu begehen. Wer innovative Ideen hat, scheitert nun mal öfter, da ist erstmal nichts dabei. 

Sie schreiben in Ihrer Studie, dass solche Statements auch genutzt werden, um ein Reframing der Unternehmensgeschichte zu erreichen. Das klingt nun deutlich mehr nach Rechtfertigung, als nach dem Willen, seine Erfahrungen mit der Community zu teilen. 

Schäfer: Ja, das ist durchaus möglich. Auch nach einem Scheitern leben Firmen ja noch weiter. Solange wir über Start-ups reden, sind sie nicht tot. Social Media ist eine gute Plattform, um nachträglich den Blick auf eine Firma zu verändern. 

Vielen Dank für das Gespräch.

Zu den Personen: Christoph Seckler leitet seit 2019 den Lehrstuhl für Entrepreneurial Strategy an der ESCP Business School in Berlin. Er forscht zu Entrepreneurship und speziell zum Lernen aus Fehlern und zu Fehlermanagementkultur. Vor seiner wissenschaftlichen Laufbahn arbeitete er für die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft EY. Erik Schäfer ist Projektleiter bei gfa | public. Er hilft bundesweit Behörden, die organisationalen Veränderungen zu meistern, die sich aus technologischen oder gesetzlichen Neuerungen ergeben. Im Oktober 2022 wechselt er an die IU Internationale Hochschule als Professor für Betriebswirtschaftslehre.


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