„Wir brauchen ein Einhorn fürs Ländle“

Christian Wiens hat mit Getsafe gerade die lang erwartete Bafin-Lizenz erhalten. Im Interview spricht der Gründer über die nächsten Schritte für sein Unternehmen und erklärt was er vom Start-up-Standort Baden Württemberg hält.

Getsafe-Gründer Christian Wiens ist gerade aus Ägypten zurück. Einmal kurz Durchatmen, nachdem er seine Finanzierungsrunde um 55 Millionen Euro erweitert hat, lautete der Plan. Doch so richtig war an Urlaub dann doch nicht zu denken. Denn Wiens hat große Pläne, möchte mit seinem Start-up weiter expandieren – und dann kam auch noch die lang ersehnte Freigabe der Bundesfinanzaufsicht (Bafin)

Herr Wiens, Sie haben gerade für Ihr Start-up eine Versicherungslizenz erhalten. Bisher war Getsafe ein Assekuradeur, bot, entwickelte und vertrieb also eigene Policen, wenngleich das Risiko im Hintergrund ein klassischer Versicherer übernahm. Warum wollten Sie das überhaupt ändern?

Als Assekuradeur brauchten wir immer einen Partner, der uns seine Lizenz leiht. Diese Abhängigkeit lähmt uns in gewisser Weise. Neue Produkte zu entwickeln, dauert häufig länger und für sehr innovative Ansätze finden wir keinen Partner. Zudem tun sich klassische Versicherer schwer, neu erhobene Daten aus der digitalen Welt zu nutzen. Wir glauben, wir sind da weiter. Die Lizenz eröffnet uns hier neue Möglichkeiten. Für unsere Kunden wird sich dadurch tatsächlich adhoc kaum etwas verändern.

Was meinen Sie damit?

Unsere App wird zum Beispiel viel für Hausratversicherungen genutzt. Einige Daten, die wir dabei erheben, will unser Versicherungspartner aber nicht. Für die sind nur die Klassiker wichtig: etwa der Geburtstag, der Name und der Wohnort des Kunden. Wir erheben aber zum Beispiel auch, wie und wann genau solch eine Versicherung abgeschlossen wird. Wir sammeln zehntausende Datenpunkte dieser Art. Daraus kann man Muster und Zusammenhänge erkennen, wie zum Beispiel die Nutzung der App mit dem Risikoprofil eines Kunden zusammenhängt, sei es im Guten oder Schlechten. Ebenfalls lässt sich Versicherungsbetrug viel schneller erkennen und das ist letztlich gut für alle fairen Versicherten.

Sie werden sich also künftig von den anderen Versicherern trennen.

Ja, die Lizenz bedeutet mittelfristig, dass wir keine Partner mehr brauchen. Perspektivisch wollen wir ein großer Vollversicherer, so etwas wie die „Allianz“ für eine neue Generation an Kunden, werden. Wir wollen ein Vollsortiment bieten. Mittelfristig wollen wir das alles mit eigenen Lizenzen schaffen. Wir haben bei der Bafin jetzt erstmal eine Sachversicherungslizenz beantragt, irgendwann werden wir das auch für den Bereich Lebens- und Krankenversicherung nachziehen.

Sie haben gerade Ihre aktuelle Finanzierungsrunde um 55 Millionen auf nun 80 Millionen Euro erweitert. Was haben Sie mit dem Geld vor?

Einen Teil brauchen wir, um eben diese Lizenz zu finanzieren. Ansonsten wollen wir vor allem weiter ins Ausland expandieren. Die Erweiterung nach Großbritannien war ein großer Schritt für uns. Das Geschäft dort macht bereits 25 Prozent unseres Wachstums aus.

In welchen Ländern wollen Sie als nächstes aktiv werden?

Wir gehen da ganz nach der Attraktivität der Märkte vor. Großbritannien und Deutschland sind die größten. Als nächstes kommen Frankreich, Spanien und Italien. Wir wollen nächstes Jahr in ein oder sogar mehrere weitere Länder expandieren. 

Der Hauptsitz Ihres Start-ups ist in Heidelberg. Viele andere Fin- und Insurtechs sind in Berlin oder München zu Hause. Warum bleiben Sie?

Wir werden den Hauptstandort in Heidelberg auf jeden Fall behalten, aber noch weitere eröffnen. Wir wollen daher mit vielen kleinere Hubs arbeiten, so dass unsere Mitarbeiter im besten Fall nie länger als 30 Minuten zu ihrem Arbeitsplatz brauchen. Schon jetzt haben wir ein Team in London und ein kleines in Berlin. Aber dort komplett hinzugehen, ergibt für uns keinen Sinn. Der Markt für Talente ist dort weitestgehend leergefegt. Hier in Baden-Württemberg gibt es noch viele, wenngleich die meisten von ihnen immer noch den Weg zu einem klassischen Konzern nehmen. 

Nur: Wenn die Talente in Baden-Württemberg nicht bei Start-ups landen, sondern doch bei den großen Konzernen, haben Sie auch nichts davon.

Zugegeben, das läuft in Berlin besser. Was uns hier in Baden-Württemberg noch ein bisschen fehlt, sind Geschichten von erfolgreichen Start-ups und Gründern, die junge Menschen inspirieren. Start-ups müssen zudem schon in der Schule präsenter werden, an Universitäten und Fachhochschulen. 

Sie fordern also mehr Einsatz von der Community?

Unter anderem. Wir haben im Mai vergangenen Jahres ein Event organisiert. „Ein Einhorn fürs Ländle“ hieß das. Danyal Bayaz, damals noch Bundestagsabgeordneter, inzwischen bei uns Finanzminister, war dabei. Auch der CEO von Volocopter sowie Vertreter aus der VC-Szene aus Stuttgart waren da. Wir wollten damit Erfolgsgeschichten aus unserer Region zusammenbringen. Den Teilnehmern hat das damals gut gefallen. Wenn wir den Start-up-Standort hier aber wirklich groß machen wollen, dann müssen auch die alteingesessenen Unternehmen mitspielen.

Wie meinen Sie das?

Es gibt immer noch zu wenig Austausch zwischen beiden Seiten. Unsere Großkonzerne wirken teilweise zu satt, sie haben kein Interesse in Start-ups zu investieren. Was dann passiert, sehen wir doch zum Beispiel an der Autoindustrie. Sie verlieren den Anschluss an US-Unternehmen. Wenn Google und Facebook am Ende wirklich das nächste Auto bauen, dann sind unsere großen wirtschaftlichen Standbeine sterbende Unternehmen. Um das zu verhindern, braucht es mehr Mut und Risikobereitschaft. 

Vielen Dank für das Gespräch.

zur Person: Vor 6 Jahren hat Christian Wiens in Heidelberg begonnen, mit Getsafe ein Insurtech aufzubauen. Auf die Idee kam er, als er die vielen vollen Aktenordner seiner Eltern mit den unzähligen Schreiben ihrer Versicherungen zu Gesicht bekam. Wiens hat es vor allem auf Versicherungserstkäufer zwischen 20 und 35 Jahren abgesehen. Für sie solle das Abschließen einer Versicherung so einfach werden wie das Online-Shopping, lautet seine Vision.


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