„Ich bin ein Alphatier“

Hillevi Lausten, COO bei DCMN und Anna Michel, Mehrfachgründerin und Partnerin bei scale up engagieren sich gemeinsam in der Initiative scale up Women für mehr Gleichberechtigung am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft. Bei der Initiative macht eine ganze Reihe von Frauen mit, die eine neue Form von Feminismus gestalten wollen. Im Doppelinterview sprechen die beiden über Eigenschaften von Gründenden und geben Tipps für junge Gründerinnen und Führungskräfte.

Frau Lausten und Frau Michel, Sie waren beide in führenden Positionen tätig oder haben eigene Unternehmen gegründet. Warum tun sich Ihrer Meinung nach Frauen mit dem Gründen schwerer?

Michel: Ich glaube die zentrale Herausforderung für Gründende ist zunächst mal für Männer und Frauen genau dieselbe. Wenn man sich überlegt, zu gründen, dann hat man erstmal mit einigen Selbstzweifeln zu tun: „Kann ich das überhaupt alles? Weiß ich alles wichtige?“ Der Unterschied besteht darin, dass Männer gerne davon ausgehen, alles zu können oder zumindest lernen zu können und bei Frauen doch leider oft Glaubenssätze wie: „Kann ich das wirklich? Können das andere nicht viel besser als ich?“ bestehen. 

Lausten: Für mich persönlich ist es etwas schwierig, diese Thematik zwischen Männern und Frauen so richtig zu unterscheiden. Wenn ich mir meine Vergangenheit anschaue, dann hatte ich beispielsweise die härtesten Verhandlungen mit Frauen. Im Gegenzug gab es einige Männer, die ich in Gehaltsverhandlungen pushen musste. Die Erfahrungen, die ich in dem Kontext gemacht habe, haben für mich einige Stereotypen aufgeweicht.

Wie haben Sie gelernt, sich durchzusetzen?

Lausten: Besonders in früheren Führungspositionen ist mir aufgefallen, dass einige männliche Kollegen ihren Führungsstil darüber definierten, sehr laut zu sein und viel Raum einzunehmen.Für mich war das definitiv eine Herausforderung. Ich musste mir überlegen, wie ich mir Gehör verschaffen kann. Muss ich jetzt auch so laut werden? Wie verliere ich mich nicht und werde trotzdem wahrgenommen?

Hillevi Lausten. Foto: Flightright 

Wie sind Sie damit umgegangen?

Lausten: Ich bin tatsächlich ruhig geblieben. Gesprächspausen habe ich genutzt, um einzuhaken und meine Punkte anzubringen. Ich habe meine Meinung klar und deutlich formuliert, wenn mir beispielsweise jemand über den Mund gefahren ist, dann habe ich nicht dasselbe bei ihm gemacht, sondern ruhig gesagt: „Lass mich bitte aussprechen.“ Wichtig war für mich in dieser Position auch vor allem die Selbstreflexion. Ich habe relativ schnell gemerkt wo ich stehe und wie ich darauf reagieren muss.

Ich schätze, das ist auch vor allem für Frauen, die frisch in eine solche Rolle kommen, schwierig. Um sich das anzueignen, empfehle ich, sich selbst erstmal zu reflektieren und dann gezielt die Dinge anzugehen, die man gerne verändern möchte. Coachings und Bücher können da sehr viel weiterhelfen. Mir hat es geholfen, immer sehr gut vorbereitet zu sein und meine Anliegen in ruhiger aber bestimmter Art vorzutragen. Nach all den Erfahrungen würde ich sagen: Ich bin ein Alphatier, allerdings ein ruhigeres. Ich muss nicht laut werden, um mir Gehör zu verschaffen. 

Frau Michel, Sie coachen Management-Best-Practices für Gründerinnen & Gründer von Wachstumsunternehmen und deren Führungsteam und haben selbst in der Vergangenheit mehrere Unternehmen gegründet. Können Sie sich noch an das Coaching erinnern, das Sie selbst am meisten weitergebracht hat?

Michel: Für mich war das damals eine Vertriebsschulung. Vorher habe ich Vertrieb immer gehasst. Meine Assoziation mit Vertrieblern war jemand, der einem aggressiv irgendetwas Sinnloses ans Bein schwatzt. Bei diesem Coaching ist mir klar geworden, dass diese Aversion tatsächlich etwas mit einem verinnerlichten Glaubenssatz zu tun hat: „Als Mädchen darfst du dich nicht anbiedern. Und Vertrieb zu machen bedeutet, sich anzubiedern und das darfst du nicht. Du musst entdeckt werden.“ Und das ist natürlich das Hinderlichste, was man als Gründerin machen kann.

Dieses Coaching hat mir gezeigt, wie ich effektiv bestimmte Themen für mich identifizieren und daran arbeiten kann. Generell ist es ungeheuer wichtig Menschen zu finden mit denen man sich austauschen kann und von denen man ein ehrliches Feedback erhält.

Wie stehen Sie jetzt zum Thema Vertrieb?

Michel: Wenn ich hinter dem Produkt oder Service stehe und weiß, dass es für mein Gegenüber wirklich einen Mehrwert stiftet, fällt mir der Vertrieb inzwischen extrem leicht. Das hat aber auch sicher etwas damit zu tun, dass ich inzwischen in jeder Vertriebssituation die menschliche Beziehung im Vordergrund sehe und mich nicht mehr an meinen eigenen Glaubenssätzen abarbeiten muss.

Frau Lausten, Sie sind damals bei jimdo mit einem Coach gemeinsam in ihre neue Rolle reingewachsen. Wie sieht eine gute Förderung Ihrer Erfahrung nach aus?

Lausten: Als ich damals den zweiten größeren Karriereschritt gemacht hatte und die Verantwortung für einen neuen Bereich übernommen habe , hatten wir intern ein Coachingteam zur Verfügung, mit dem ich mich auf meine neue Rolle vorbereiten konnte. Dem Thema „Change Management“ wurde sehr viel Bedeutung beigemessen und das ist auch richtig so. Ich habe da wirklich Sparringspartner an die Hand bekommen. Das hat mir auf jeden Fall sehr weitergeholfen. 

Von einem damaligen Coach habe ich auch einen sehr hilfreichen Tipp bekommen. Nach einem anonymen Feedback erhielt ich die Rückmeldung, ich sei dominant.

War das für Sie etwas Schlechtes?

Lausten: Ja, für mich war das anfangs ganz schlimm. Dominant sein war für mich etwas ganz negativ Behaftetes.

Der Coach sagte zu mir „Ganz ehrlich, eine gewisse Dominanz ist eine super Eigenschaft für jemand, der in den Führungsbereich will.“ Ich müsse mir nur überlegen welche Auswirkungen diese Eigenschaft hat und welche Stärken ich mir daneben aufbauen möchte, die die negativen Aspekte einer gewissen Dominanz reduzieren. Ganz ehrlich: Dieser Punkt hat mein Leben verändert.

Was würden Sie heute jungen Gründerinnen raten?

Lausten: Viele Dinge kommen erst, wenn man sie einfordert. Das sollte keiner vergessen. Man kann nicht darauf warten, dass man gefunden oder gefördert wird. Man muss sich schon bewusst darüber sein, wo man hin möchte. Das ist vielleicht ein Punkt, in dem sich Frauen und Männer tatsächlich unterscheiden. Ich glaube vielen Männern fällt es leichter, das zu formulieren als vielen Frauen.

Michel: Ich glaube, ein weiteres Element ist, dass wir Frauen unsere Aufstiegswünsche in klassischen Strukturen häufig gegenüber Männern formulieren müssen. Es fällt in dem meisten Fällen leichter, einen Dialog mit jemanden aus meinem eigenen Geschlecht aufzubauen – und das hängt natürlich auch mit Gewohnheit zusammen. Das ist einfach ein klassisches Phänomen der Psychologie und des Rapports, also einer von wechselseitiger empathischer Aufmerksamkeit getragenen Beziehung. Wenn ich mit Männern zu tun habe, die in erster Linie mit Männern arbeiten, sind die an einen männlichen Rapport gewöhnt. Als Frau durchbreche ich sozusagen das vertraute Muster und es ist günstig, wenn ich mir darüber bewusst bin. Gleichzeitig muss ich auch auf ein Gegenüber treffen, dass bereit und in der Lage dazu ist dieses andere Muster auch zu sehen, zu hören, zu verstehen und mit mir in einen Rapport zu treten. Sonst wird es ein furchtbar anstrengender Prozess mit geringer Erfolgswahrscheinlichkeit.

Welche Eigenschaften sind Ihrer Meinung nach für Gründende besonders wichtig?

Michel: In meinen Augen ist eine der wichtigsten Eigenschaften ist die Fähigkeit zur Selbstreflexion. Die Bereitschaft und die Fähigkeit sich selber kontinuierlich zu hinterfragen ohne sich dabei in Frage zu stellen. Das heißt, vor allem offen dafür zu sein, sich selber weiter zu entwickeln. Wo gibt es Dinge an denen ich arbeiten kann, die ich verbessern kann? Diese Grundqualität ist für Männer und Frauen gleichermaßen wichtig; die Herausforderung ist, dass dieses Hinterfragen gerade bei Frauen leider manchmal in Selbstzweifel kippt. Das kenne ich aus eigener Erfahrung nur zu gut, und es ist nicht leicht, diesen Punkt zu überwinden. 

Was würden Sie Eltern raten, wie sie den Selbstwert ihrer Töchter stärken können?

Michel: Na Mut vermitteln! Das Gefühl mitgeben: „Du packst das, probiere es aus!“, „Du kannst auch ruhig mal hinfallen, das ist nicht schlimm.“ Zum Ausprobieren gehört eben auch das Scheitern und das ist völlig in Ordnung.

Was halten Sie von der Frauenquote?

Lausten: Ich find sie gut!

Michel: Ich war zunächst dagegen, jetzt bin ich aber Befürworter. Ich finde es traurig, dass wir sie brauchen aber ich habe inzwischen akzeptiert, dass sich nichts ändern wird, wenn wir sie nicht haben.

Stört Sie nicht der Gedanke, dass Sie an den Job nur gekommen sein könnten, weil Sie eine Quotenfrau sind – oder dass das zumindest andere über Sie denken?

Michel: So what? Mich immer nur zu fragen, was andere über mich denken, bringt mich nicht weiter. Ich bin daran gewöhnt, die einzige Frau unter Männern zu sein und ob ich am Ende eine Quotenfrau bin oder nicht: Solange ich erreiche, was ich mir vorgenommen habe, ist es doch völlig unwichtig.

Lausten: Im Gegenteil, ich empfinde das sogar mehr als Privileg. Ich bin dann eine Vorreiterin, weil ich Sorge dafür trage, dass die nächste Generation es vielleicht einfacher haben wird. Ich empfinde das als etwas, das mir noch mehr Push gibt. Für mich ist das ein Schritt auf dem Weg zu der Welt, die ich gerne hätte. Eine Quotenfrau sollte daher ein großes Vorbild sein.

Zu den Personen

Anna Michel

Anna Michel hat innerhalb von 10 Jahren insgesamt sechs Unternehmen gegründet, zuletzt die Fast Forward Imaging GmbH, ein Innovationsunternehmen im Bereich der digitalen Asset-Generierung für Ecommerce und Augmented und Virtual Reality-Anwendungen. Seit 2018 ist sie als Coach und seit 2020 als erste weibliche Partnerin für scale up tätig, dort begleitet sie Gründerinnen und Gründer von Wachstumsunternehmen und deren Führungsteams bei Skalierung und strategischen Transformationsprozessen.

Hillevi Lausten

Nach ihrem Masterabschluss in Kommunikationswisschaften, Psychologie und Recht war Hillevi Lausten einige Jahre im PR Bereich tNach ihrem Masterabschluss in Kommunikationswissenschaften, Psychologie und Zivilrecht war Hillevi Lausten einige Jahre im PR Bereich tätig, bis sie 2015 ihre erste Führungsposition bei jimdo übernahm und das Paid Marketing des Website Builders verantwortete. Seit dem war sie in diversen Führungspositionen im Marketing tätig und arbeitet heute als COO bei DCMN. Gemeinsam mit ihrem Team wurde sie bei scale up gecoacht und ist selber Teil der Initiative scale up Women.


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