„Es geht darum, dass wir eine Atmosphäre schaffen, in der wir nicht anhand des Geschlechts vergleichen“

Janina Sundermeier, Professorin für „Digital Entrepreneurship und Diversity“ an der Freien Universität Berlin und ihre Doktorandin Franziska Mattner forschen schon länger zu Gründerinnen in Deutschland. Im Interview sprechen sie über Diversität im Start-up-Umfeld, VC-Kapital für Gründerinnen und politische Maßnahmen für mehr Gleichberechtigung.

Im Jahr 2020 waren Daten von Startbase zufolge nur 11,9% der Start-up-Gründungen in Deutschland weiblich. Wie erklären Sie sich das?

Janina Sundermeier: Tatsächlich zeigt sich, dass vorrangig existierende Stereotypen, wen und was eine Gründungsperson ausmacht, ausschlaggebend für die geringe Anzahl von Gründerinnen sind. Mit vermeintlich gründungsspezifischen Attributen, wie „durchsetzungsstark“ „risikofreudig“, und „unerschrocken“, werden nach wie vor eher Männer in Verbindung gebracht. Diese können sich somit eher mit dem Berufsbild identifizieren und haben entscheidende Vorteile beim Zugang zu wichtigen Ressourcen, wie beispielsweise Risikokapital, weil auch die Entscheider oftmals durch stereotypische Vorstellungen beeinflusst werden.

Welche Möglichkeiten gibt es um diese Barrieren zu überwinden?

Sundermeier: Die Sensibilisierung und Qualifizierung für unternehmerisches Denken und Handeln muss dafür selbstverständlicher werden, damit die Start-up Gründung bei Heranwachsenden ein genauso greifbares Berufsbild wird, wie beispielsweise Ärztin, Kindergärtner oder Lehrerin. 

Und was lässt sich kurzfristig tun?

Franziska Mattner: Zum einen sollte frühzeitig ‚Unternehmertum‘ als Fach in unser Schulsystem integriert werden, um das notwendige Wissen und die entsprechenden Fähigkeiten zu erlernen, sowie das Vertrauen in diese zu entwickeln. Die Arbeit mit Rollenvorbildern kann helfen, um überhaupt ein ‚Bild‘ davon zu bekommen, was es bedeutet eine Gründungsperson zu sein beziehungsweise zu verstehen, warum sich jemand anderes für den Weg entschieden hat und zu evaluieren, ob dieser Weg auch für mich eine Option darstellt. Darüber hinaus kann natürlich unser Staat vielfältige Anreize schaffen.

Welche Anreize könnten das sein?

Mattner: Gründerstipendien - wie z.B. das EXIST-Gründerstipendium, können helfen den Schritt von der Festanstellung in die Gründung zu erleichtern. Für eine Laufzeit von zwölf Monaten erhalten die Teams (max. drei Personen) ein monatliches Grundgehalt inklusive Arbeitsplatz, Coaching und Netzwerk. Bei EXIST werden aktuell vor allem technologie- oder wissensbasierte Gründungsvorhaben aus dem Hochschulumfeld gefördert. Eine Möglichkeit wäre zum Beispiel die Konditionen und Fördervolumina auszubauen (neue Zielgruppen, Arten von Innovationen), um die Einstiegsbarrieren so niedrig wie möglich zu halten. Interessant wäre, ob durch eine zusätzliche 'Frauen-Edition' mit weiblichen Coaches, Investorinnen, Anschluss an Gründerinnennetzwerken und einer zielgruppengerechten Vermarktung, der Anteil an Gründenden pro Jahr gesteigert werden kann. 

Frau Sundermeier, finden sie auch, dass die Politik mehr Initiative ergreifen muss, um die Start-up Branche diverser zu machen?

Sundermeier: Im Vorwort des Female Founder Monitors aus 2020 sagt Brigitte Zypries, dass sich trotz aller Anstrengungen bislang nicht wirklich etwas an der Gründerinnenquote geändert hat. Ich finde diese Ehrlichkeit bemerkenswert, sehe aber auch die Bemühungen verschiedener Ministerien. Ich bin beispielsweise Teil der Jury für das Innovationsprogramm für Geschäftsmodelle und Pionierlösungen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie und hier wird sehr darauf geachtet, dass entsprechende Anträge von einer sehr divers aufgestellten Jury bewerten werden. Das sind wichtige Schritte in die richtige Richtung und darüber hinaus helfen alle politischen Möglichkeiten das gesellschaftliche Bild einer Gründungsperson von Stereotypen zu befreien.

Im Durchschnitt sind Gründerinnen und Gründer  36 Jahre alt. Inwieweit hemmt ein Kinderwunsch die eigene Gründung?

Sundermeier: Tatsächlich gründen viele Frauen später, wenn sie bereits Berufserfahrung gesammelt haben. Das ist eigentlich auch eine sehr gute Basis. Dass viele Frauen den Schritt in die Start-up Gründung nicht wagen, hängt mit der gesellschaftlich geprägten Vorstellung zusammen, dass jede Gründung der erste Schritt zur Privatinsolvenz ist und es direkt Unmengen von Ressourcen braucht, um ein Unternehmen aufzubauen. Mit diesen Mythen muss aufgeräumt werden und es braucht mehr Angebote, um aufzuzeigen, wie eine Idee mit einfachen Mitteln im Hinblick auf das tatsächliche Potenzial validiert werden kann. 

Ich bin selbst gerade Mutter geworden und würde es eine schöne Ergänzung finden, wenn es neben den ganzen Babybespaßungskursen auch Angebote geben würde, die Mütter einladen, angeleitet und mit Rücksicht auf die Belange des Neugeborenen ihre eigenen Ideen Stück für Stück zu validieren und weiter auszubauen.

Sehen Sie auch gesellschaftliche Vorteile durch mehr Gründerinnen?

Mattner: Da Start-ups an neuen Technologien forschen, digitale Produkte entwickeln, oder Geschäftsmodelle hervorbringen, die gesamte Branchen verändern, ist es immer wünschenswert, dass die Szene derer, die ‚mitgestalten‘, möglichst heterogen strukturiert ist. Dadurch können die Bedürfnisse, Wünsche und Ideen verschiedener Zielgruppen in der Produktentwicklung besser berücksichtigt werden. Deshalb wünsche ich mir eine vielfältige, offene, heterogene und nachhaltige Start-up Szene mit vielen coolen Frauen und Männern.

Janina Sundermeier.

Um ein Start-up erfolgreich voranzubringen benötigen die Gründerinnen und Gründer Kapital. Doch gerade weiblichen Gründungsteams fehlt es häufiger daran. Braucht es eine Frauenquote im VC-Bereich? 

Sundermeier: Der Titel einer US-amerikanischen Studie, welche die Gespräche zwischen VCs und GründerInnen analysierte, spricht Bände dafür, dass es ein Umdenken in der VC-Welt braucht: “We ask men to win and women not to lose“. Dennoch ist es mit Quoten immer ambivalent. Auf der einen Seite braucht es Quoten, um die Symptome der verzerrten Wahrnehmung des männlichen Ideals im Gründungskontext zu adressieren. Auf der anderen Seite heilt die Quote nicht zwingend die Ursachen der verzerrten Bewertung von Männern und Frauen. Die Quote ist nur dann wirksam, wenn die VC-Welt offen für Kritik und Wandel ist und sich nicht nur Frauen ins Boot holt, um mit dem nächsten Gruppenfoto einem Shitstorm in den sozialen Medien zu entgehen. 

Mattner: Die Frage ist meines Erachtens, woran liegt’s? Gibt es einfach keine weiblichen Gründerteams in die Investorinnen und Investoren investieren könnten? Entsprechen die Ideen oder Geschäftsmodelle, der weiblichen Gründerteams nicht den Wachstumszielen derer die investieren? Gibt es einen ‚selection bias‘ basierend auf dem Geschlecht? Sprich Männer tendieren dazu anderen Männern und Frauen anderen Frauen zu ‚vertrauen‘? 

Ich finde Diversität immer spannender, also – ein klares Ja dazu, auch für die Investorenszene. Ferner fände ich es super, wenn bei der Start-up Auswahl neben deren Wachstumszielen auch die SDGs (Sustainable Development Goals) & ESG-Kriterien (dem Standard für nachhaltige Anlagen) in die Entscheidung einfließen.

Franziska Mattner.

In welchen Bereichen sind Ihrer Meinung nach Frauenteams besser als rein männliche Gründerteams? 

Mattner: In allen! (lacht) Es gibt Studien oder Reports, die Frauen- und Männerteams vergleichen, allerdings weiß ich nicht, was uns das bringt, außer, die ‚Fronten‘ zu verschärfen. Es geht doch darum, dass wir eine Atmosphäre schaffen, in in Schulen, im Handwerk, an Unis, am Arbeitsplatz, in Aufsichtsräten, in der Politik – in der wir nicht anhand des Geschlechts vergleichen, sondern in der wir die Potentiale des Einzelnen fördern. Wer bringt sich wann, zu welcher Zeit und wie in Berufsleben, Familie, Haushalt, etc. ein – hier bedarf es sicher mehr Offenheit und Flexibilität von uns als Gesamtgesellschaft. 

Welche Tipps würden Sie jungen Gründerinnen mit auf den Weg geben?

Sundermeier: Go for it! Informiere dich, welche Art von Unterstützungsangeboten es in deinem Umkreis gibt. Wenn du studierst oder studiert hast, ist das Gründungszentrum der Universität eine gute erste Anlaufstelle. Darüber hinaus gibt es in vielen Städten Veranstaltungen, welche über die Plattform meetup.com organisiert werden und auch viele IHKs bieten Unterstützung an. All dies sind erste Anlaufstellen, um nach und nach zu erfahren, welche Angebote für die jeweilige Gründungsphase existieren. Zudem trifft man hier in der Regel auf Personen, die einer Start-up Gründung offen und vorbehaltlos gegenüberstehen, zumindest vorbehaltloser als gegebenenfalls die eigenen Eltern oder Freunde, die mit diesem Weg unter Umständen wenig anfangen können.

Mattner: Es gibt mittlerweile viele gute Anlaufstellen, z.B. Gründerinnennetzwerke mit Mentoring wie Female Founders, WomenTech Network, FeMentor oder teamnushu aber auch Podcasts, Acceleratoren, Events, Meetups oder Messen, die sich für Frauen in der Gründerszene stark machen. 

Von wem kann man als angehende Gründerin etwas lernen?

Sundermeier: Ich glaube die Antwort auf diese Frage ist immer sehr subjektiv geprägt. Von ihren Persönlichkeiten und Mindsets haben mich und die Teilnehmenden in meinen Veranstaltungen sehr Dr. Sophie Chung (Qunomedical GmbH) und Farina Schurzfeld (Selfapy GmbH) begeistert. Großer Fan bin ich natürlich auch von den Gründerinnen, die ich als Mentorin eng auf ihrem Weg begleiten darf, wie beispielsweise. gerade Jaane Henning und Johanna Lubig, die mit Recoupling die Paartherapie digitalisieren werden. 

Welches sind die coolsten Ideen (Startups), die ihr von weiblichen Gründerteams kennt?

Mattner: Aus dem Strascheg Center for Entrepreneurship, dem Gründungszentrum der Hochschule München kommen z.B. Langhaarmädchen, Jesango oder nearbees. Andere Namen, die oft in den Medien fallen, sind Verena Pausder von Fox and Sheep, Ida Tin von Clue, Julia Bösch von Outfittery, Lea-Sophie Cramer von Amorelie oder Milena Glimbovski von ‚Original Unverpackt‘. Es gibt so viele unglaubliche tolle und spannende Geschichten. Ein paar davon könnt ihr euch in unserem neuen Uni-Podcast fIVE anhören, der am 15.03.2021 an den Start geht.

Gibt es andere Länder, in denen es weibliche Gründer leichter?

Sundermeier: In einer Studie aus dem Jahr 2016 haben Kolleginnen und Kollegen aus Hohenheim die Quote der Gründerinnen in den 20 führenden Startup-Ökosystemen weltweit untersucht. Berlin landete dabei auf dem letzten Platz, während die ersten vier Plätze von amerikanischen Ökosystemen, wie beispielsweise dem Silicon Valley, belegt wurden. Mit der Schlussfolgerung, dass es Gründerinnen dort leichter haben, wäre ich dennoch vorsichtig. Die vorhin genannte VC Studie mit der Erkenntnis “We ask men to win and women not to lose“ basiert auf Daten aus den USA und zeigt, dass es auch dort Vorbehalte gegenüber Frauen im Gründungskontext gibt. 

Dennoch ist die amerikanische Mentalität eine andere und die Vorstellung, dass es jeder schaffen kann vom Tellerwäscher zum Millionär aufzusteigen, wirkt sich augenscheinlich auch auf das Selbstbewusstsein aus mit dem in den USA Gründungsideen umgesetzt werden. Ganz nach dem Motto „You can have it all“. 

Vielen Dank für das Gespräch. 

Zu den Personen:

Prof. Dr. Janina Sundermeier

Janina Sundermeier, Professorin für Digital Entrepreneurship und Diversity an der Freien Universität Berlin, ist als Botschafterin für „Women’s Entrepreneurship“ im Rahmen von NFUSION, dem Entrepreneurs Network der Freien Universität Berlin tätig. Darüber hinaus hat sie die Initiativen „Hello DIversity! Conference 2019“, „WoMenventures“ und“ Digital Entrepreneurship Hub“ ins Leben gerufen und setzt sich damit für mehr Diversität in der Gründungsszene ein.

Franziska Mattner

Franziska Mattner, die seit 2016 an der Hochschule München als Dozentin tätig ist, lehrt in den Schwerpunkten Business Model Design, Innovation und Design Thinking. Darüber hinaus ist sie im SCE, dem Gründungszentrum der Hochschule sehr engagiert und hat hier unter anderem dem Gründerinnen-Podcast „FIVE“ initiiert. Derzeit promoviert sie zum dem Forschungsschwerpunkt: „Female Entrepreneurship & Online Education“.


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