Der Krieg in der Ukraine geht uns alle an

Viele deutsche Start-ups zeigen derzeit ihre Solidarität. Wir müssen aber auch unsere Verbindungen zu Russland hinterfragen, schreibt Bettina Engert. 

Bilder aus Kriegsregionen treffen größtenteils auf Erschütterung und Mitgefühl. Nicht immer bewirken sie aber auch großflächige Aktionsbereitschaft aus dem Ausland. Bei den Bildern aus der Ukraine ist das anders. Die Berichte über menschliche Schicksale, den Flüchtlingen und verbleibenden Menschen vor Ort treffen hierzulande auf eine beispiellose Welle der Solidarität. Auch in der deutschen Start-up-Szene.

Viele Akteure, Unternehmen, Gründer und Teams positionieren sich und nutzen ihre Plattform, um sich für ein Ende des Krieges stark zu machen. Innerhalb kürzester Zeit starteten hiesige Start-ups zudem zahllose Initiativen für die Ukraine: Sie reichen von der Logistik von Hilfsgütern, über Unterstützung ankommender Flüchtlinge bei der Job- und Wohnungssuche bis hin zur großangelegten Beförderung in sichere Nachbarländer. Die Geschwindigkeit, mit der sich die Start-up-Gemeinschaft organisiert hat, um zu helfen, ist bemerkenswert.

Hilfe für Kollegen vor Ort – Humanitäre Verpflichtung und die Verantwortung als Arbeitgeber

Antrieb für diese Hilfsbereitschaft ist zum einen sicher die regionale Nähe des Konflikts und dessen politischer Hintergrund, aber vor allen Dingen auch die enge Verknüpfung zwischen Deutschlands Start-up-Ökosystem mit der ukrainischen Tech-Szene.

Hier hat sich in den letzten zehn Jahren eine hervorragende Entwickler-Community gebildet. Hiesige Start-ups arbeiten schon lange eng mit Freelancern aus Kyiv oder Kharkiv, kaum ein Team kommt ohne Entwickler-Kollegen mit ukrainischen Wurzeln aus und einige haben sogar eigene Tech-Teams vor Ort aufgebaut – wie etwa die Solarisbank aus Berlin oder Laserhub aus Stuttgart. Hier zeigen Erfahrungsberichte die ganze Absurdität der Situation: ukrainische Mitarbeiter, die beim Besuch in der Heimat zu Beginn des Krieges eingezogen wurden, und nun, statt den Laptop hochzufahren, an der Waffe ausgebildet werden. Da Männer zwischen 18 und 60 Jahren die Ukraine nicht verlassen dürfen, unterstützen ihre deutschen HR-Kollegen jetzt vorrangig dabei, Angehörige außer Landes zu bringen, organisieren Sach- und Geldspenden und stellen sicher, dass die zusätzliche Hilfe und das Gehalt aus dem Ausland auch ankommen.

Zahllose Beispiele zeigen, dass sich junge Unternehmen in Deutschland ihrer Verantwortung als Arbeitgeber in dieser Ausnahmesituation bewusst sind. Und das müssen sie auch! Denn abgesehen von der humanitären Verpflichtung zur Hilfe, ist die lokale Start-up-Branche in Anbetracht des Fachkräftemangels auch wirtschaftlich auf ihre Kollegen aus der Ukraine angewiesen.

Kapital aus Russland und die Frage „Woher kommt mein Geld?“

Neben der Solidarität zur Ukraine wirft der Krieg aber auch Fragen nach den Verbindungen des deutschen Ökosystems zu Russland auf. In den letzten Wochen haben Sensibilität und Sorgfalt bei der Prüfung bestehender sowie zukünftiger Gesellschafterstrukturen in Fonds als auch bei Portfoliofirmen deutlich zugenommen. Aktuell müssen sich Start-ups und VCs kritischen Rückfragen zur Herkunft ihres Kapitals stellen.

Dabei war der Großteil hiesiger Wagniskapitalgeber bisher traditionell zurückhaltend bei LPs (Limited Partnern) außerhalb der EU. Dennoch wirkt der aktuelle Konflikt wie eine spürbare Zäsur. Die Diskussion um „Putins Oligarchen“ und ihre Unterstützung eines russischen Angriffskrieges haben erneut deutlich gemacht, dass es weder Fußballclubs noch Start-ups egal sein sollte, woher ihr Wachstumskapital stammt.

Europas Start-up-Ökosystem kann von mehr Transparenz und Integrität bei der Finanzierung durch Wagniskapital nur profitieren. Abhängigkeiten von russischem Geld waren bereits in der Vergangenheit bedenklich, nun sind sie untragbar geworden.

Das Hoffen auf Stabilität, Nachhaltigkeit, Sicherheit… und vor Allem ein Ende des Krieges

Apropos Finanzierung: Es bleibt abzuwarten, wie sich der Ukraine-Krieg langfristig auf den europäischen Wagniskapitalmarkt auswirkt. Während hier noch vor einigen Monaten der Fokus auf der Jagd nach Rekorden lag (siehe auch „Die Risiken der Cashflut für deutsche Start-ups“), war bereits zu Beginn des russischen Angriffs ein starker Einbruch bei Anzahl und Volumen der Finanzierungsrunden spürbar. Laut Statistik sammelten EU-Start-ups in den ersten Kriegswochen 70 Prozent weniger Geld ein als zuvor. Geplante Finanzierungsrunden verzögerten sich, als sicher geltende Börsengänge wurden abgeblasen.

Während der Coronakrise konnte die Digital- und Technologiebranche noch massiv profitieren. Aktuell sind Geldgeber aufgrund der Entwicklung in Osteuropa und der hohen Volatilität an den Börsen verunsichert. Vor riskanten Wetten – die auf möglichst schnellem Wachstum, dem Kampf um Marktanteile ohne Rücksicht auf Profitabilität basieren – schrecken viele nun zurück. Deren Erfolg setzt zudem freien Handel, reibungslose Lieferketten und unbeschränkten Zugang zu Kapital voraus. All das ist in der aktuellen Situation gefährdet.

Ähnlich wie schon in der Coronakrise könnten jedoch auch hier wieder bestimmte Bereiche der Start-up-industrie profitieren. So erhöht der Konflikt mit der Gas-und-Öl-Großmacht Russland erneut den Druck, Alternativen zu fossilen Brennstoffen und Lösungen für die Reduktion des Energieverbrauchs zu suchen. „Green Start-ups“, also Geschäftsmodelle rund um Nachhaltigkeit, stehen derzeit alle (Investoren-)türen offen.

Gleiches gilt für den Bereich Cybersecurity. Der Krieg wird aktuell nicht nur auf dem Boden, sondern auch im Netz geführt. Hier behält die Oberhand, wer sich gegen Cyberattacken, Sabotage und Desinformation schützen kann. Deutsche Start-ups wie SoSafe werden derzeit mit Kapital und Aufträgen überhäuft. Engpass für das weitere Wachstum ist hier lediglich der Entwicklermangel.

Aber egal ob wirtschaftlicher Profiteur der Situation oder nicht, was alle Start-ups hierzulande eint, ist das Hoffen auf ein baldiges Ende des Krieges. Für ihre Mitarbeiter, ihre Kollegen und all die Menschen in der Ukraine.


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